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Kultur: Weiße Rosen aus Athen

Der Neue Berliner Kunstverein zeigt „Zeitgenössische Fotokunst aus Griechenland“

In Berlin hat es in den letzten Tagen geschneit. In Athen nicht: Dort war es gestern zwar bewölkt, aber andererseits angenehme sechzehn Grad warm, was man immerhin einen Unterschied nennen kann. Und es gibt sicher noch sehr viel mehr, was die beiden Städte voneinander trennt, nicht nur Äußerlichkeiten, sondern innere Zustände, die Atmosphäre, der Rhythmus des Alltags. Doch das lässt sich mit den Mitteln der Fotografie offenbar nur schwer oder überhaupt nicht darstellen, wie die ansonsten sehr gelungene Ausstellung „Zeitgenössische Fotokunst aus Griechenland“ im Neuen Berliner Kunstverein beweist.

Die Schau ist die mittlerweile achte Ausgabe einer Reihe, die 1996 mit den Niederlanden begann und in der der NBK seither junge Fotografen aus verschiedenen europäischen und außereuropäischen Ländern vorgestellt hat. Ein Anliegen dabei war es, nationale Eigenheiten der jeweiligen Fotoszenen aufzuzeigen – ein schwieriges Unterfangen, das in diesem Fall sogar ziemlich zum Scheitern verurteilt ist. Etwas spezifisch Griechisches ist hier jedenfalls nicht zu entdecken, aber das tut dem Ganzen keinen Abbruch, im Gegenteil. So kann man sich auf die Bilder konzentrieren und hält sich nicht bei oberflächlicher Folklore auf.

Womöglich liegt das auch daran, dass die meisten im NBK präsentierten Fotokünstler aus Athen stammen, die von einem Kurator aus Thessaloniki, der zweitgrößten Stadt Griechenlands, ausgesucht wurden, und die Arbeiten deshalb zuallererst von einem universellen urbanen Lebensgefühl geprägt sind. Diese besondere metropolitane Stimmung legt sich über Themen und Motive: über Stadt und Landschaft, Porträt, Inszenierung, Rollenspiele, was halt so anfällt. Zum Beispiel die eigene Wohnung: Sie ist nicht nur eine Unterkunft, sondern ein Refugium, in dem selbst geringste Veränderungen aufmerksam registriert und zeichenhaft mit Bedeutung aufgeladen werden.

Ein leeres Gefrierfach, etwas verschüttete Milch auf dem Parkett, ein Mann, der versonnen eine Pflanze betrachtet, alles auf den Fotografien von Panos Kokkinias, 1965 in Athen geboren, sagt: lies’ mich, interpretier’ mich, erfinde eine Geschichte, die zu mir passt. Ähnlich der Ansatz von Lia Nalbantidou (geb. 1967 in Thessaloniki). Sie hat den grafisch elaborierten Werken, die bei ihr daheim entstanden sind, die Beseelung und fast metaphysische Schutzfunktion quasi als Motto vorangestellt: „Der sichere, private Bereich meines Zuhauses.“

Das Vertraute im Fremden

Der frontal objektiven, vermeintlich emotionslos dokumentierenden Fotografie, die man hierzulande mit den Namen Bernd und Hilla Becher (nebst zugehöriger Schule) verbindet, sind dagegen die Bilder verpflichtet, die Manolis Baboussis (geb. 1950, Athen) aufgenommen hat. Da sieht man einen verlassenen Raum in perfekter Symmetrie, an den Wänden endlos erscheinende Archivschränke mit unzähligen kleinen Fächern, und denkt unweigerlich an Andreas Gursky. Da werden Geldautomaten abgebildet und Städten zugeordnet („Paris“, „Rom“, „Athen“), wo es doch eigentlich um etwas ganz anderes geht, um den Pegelstand von Baboussis’ persönlicher Ökonomie nämlich: Die vierteilige Serie von 1998 trägt den Titel „Pleite". Ein anderer Fotograf aus Athen, Nikos Panayotopoulos (geb. 1945), feiert im großen Format das stadtplanerische Chaos, das Durcheinander von Straßen, Häusern, Werbetafeln, das Ortsunkundige bis zur Orientierungslosigkeit verwirrt, während es der Einheimische ironisch „Terra Cognita“ nennt.

Der Blick des Städters trifft auch die klassische attische Landschaft und was er dort sieht, ist nicht sonderlich beruhigend. Epaminondas Schizas (geb. 1964, Athen) hat an der Küste über und unter Wasser fotografiert: Über dem Wasser ist alles in Ordnung, unter Wasser freilich wird es allzu schnell gruselig, ein Schaudern, das einem Naturburschen wahrscheinlich völlig unbekannt ist.

Natürlich hat auch diese Ausstellung Schwachstellen, beispielsweise die vordergründigen Porträts von schauerlich auf Prügelei geschminkten Männern und Frauen („Wunden“) von Vassilis Polychronakis (geb. 1975) oder die etwas flach geratenen Bilder-Storys, die Melinna Kaminari (geb. 1968, Athen) erzählt. Doch das sind Ausnahmen, die durch die „Barbie“-Serie von Nikoletta Zissi (geb. 1982, Athen) oder die Family-Soap „Die Barbopoulos-Familie“ von Panos Vardopoulos (geb. 1956, Athen) mit Witz und Esprit und leichter Hand wieder wettgemacht werden. Vielleicht erfährt man in dieser Ausstellung nicht viel über das, was Griechenland vom Rest der Welt unterscheidet. Aber umso mehr erkennt man etwas anderes: das Vertraute im Fremden. Das ist ungleich spannender.

Neuer Berliner Kunstverein, Chausseestraße128/129, Dienstag bis Freitag 12–18 Uhr, Sonnabend und Sonntag 14 –18 Uhr, bis 29. Februar. Katalog 19 €.

Ulrich Clewing

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