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Kultur: Weißes Rauschen

Es war wie ein Flashback. Hysterische Telefonate gegen 9 Uhr morgens, das Einschalten des Fernsehers, Bilder von schwarzen Rauchfahnen und rußbedeckten Feuerwehrmännern.

Es war wie ein Flashback. Hysterische Telefonate gegen 9 Uhr morgens, das Einschalten des Fernsehers, Bilder von schwarzen Rauchfahnen und rußbedeckten Feuerwehrmännern. Schon wieder? Das erste Entsetzen, ein diffuses Gefühl von Bedrohung und Ungewissheit; geschlossene Brücken, lahmgelegte Flughäfen, Militärjets über der Stadt.

Alles wie am 11. September. Vom Schock dieses Dienstags hat sich New York City auch zwei Monate danach noch ganz und gar nicht erholt. Das Klima einer unlokalisierbaren Bedrohung und der Verlust jeglichen Sicherheitsgefühls kam den New Yorkern immer wieder zu Bewusstsein. Eine vorbeifahrende Sirene genügte, ein tieffliegendes Flugzeug, irgendein entferntes, explosionsartiges Geräusch. Klänge, die man früher als White Noise kaum wahrgenommen, aber dennoch geliebt hatte, als akustische Chiffre für die Urbanität Manhattans.

Vor zwei Wochen wurde die Stadt mitten in der Nacht von einem sehr leichten Erdbeben erschüttert. Die aus dem Schlaf gerissenen New Yorker hatten sofort wieder Feuersbrünste vor Augen. Am Montagmorgen handelte es sich jedoch nicht mehr um eine Schreckensvision: Plötzlich war der Ernstfall wieder eingetreten - ein Ernstfall, den die "New York Times" mit einem Autounfall bei einer Beerdigunsprozession vergleicht.

Haupstadt des schwarzen Humors

So sehr der 11. September präsent bleibt, so selbstverständlich ist auch eine gewisse Normalität zurückgekehrt. Ganz so dramatisch, wie es die Milzbrand-Nachrichten, die täglichen Ground Zero-Bilder und die Statistiken über die psychologische Behandlung vieler New Yorker wegen "Post Traumatic Stress Disorder" vermuten lassen, ist die Stimmung nicht. Soweit sie nicht von der sich verschärfenden Wirtschaftskrise betroffen sind, ist es vielen durchaus gelungen, zum Alltag zurückzukehren. New York ist schließlich auch die Hauptstadt des trockenen, schwarzen Humors und hat entgegen verfrühter Reden über das "Ende der Ironie" wieder zu alter Form zurückgefunden. Man geht wieder in Nachtclubs, ins Konzert, ins Theater. Hochzeiten werden gefeiert, Wohnungen gesucht, Autos gekauft. Und zwischen den Debatten über Taliban und Nordallianz findet sich auch wieder Gelegenheit, sich über David Lynch oder die Coen-Brüder zu streiten.

Diese Rückkehr zur Normalität mochte sich am Montag niemand so recht nehmen lassen. Deshalb glaubte man gerne und schnell den öffentlichen Verlautbarungen, die einen "normalen" Flugzeugabsturz vermuten. Es ist absurd, einen solchen Crash "normal" zu finden und deshalb Erleichterung zu verspüren. Doch die Vorstellung, dass es sich erneut um einen Terroranschlag handeln könnte, ist einfach zu ungeheuerlich. Sollte der 11. September wirklich so leicht fortzusetzen sein? Handelt es sich am Ende um den Auftakt einer neuen Ära, um eine nächste Welle, in deren Zentrum ein dauerhaft terrorisiertes New York steht? Ein Gedanke, den kaum jemand ertragen kann.

In einer solchen Ära wäre die Ironie vielleicht wirklich am Ende, und viele Bewohner würden New York womöglich verlassen. Das Szenario einer Stadt-Flucht ist in den letzten Wochen ebenfalls viel diskutiert worden, wenn diesem Impuls bisher auch nur wenige nachgegeben haben. Zu sehr hängen die meisten an der Stadt. Und schließlich scheint es nach der Verschärfung der Sicherheitsmaßnahmen keineswegs einfach zu sein, weitere Anschläge zu verüben, auch die Zahl der Milzbrand-Attacken ist wieder gesunken.

Eine Million Dominikaner

Dennoch hat jeder sie im Hinterkopf: die Frage, ob es bald einen neuerlichen Anschlag geben würde. Dass nun ein Flugzeugabsturz augerechnet der American Airlines die Stadt weiter verwüstet, wird da als ungeheuerlicher, kosmischer Scherz wahrgenommen.

Über den können die Betroffenen in der Wohngegend von Rockaway Beach und in der dominikanischen Community, die über 200 ihrer Mitglieder verloren hat, überhaupt nicht lachen. Eine Million Dominican New Yorker leben in der Stadt: eine vernetzte, relativ junge Gruppe von "New Immigrants", viele werden eines der Opfer gekannt haben. Fast jeder von ihnen kennt den Flug American Airlines 587 nach Santo Domingo, fast jeder hat ihn schon einmal gebucht. Hier ist die Tragödie direkt und grausam; dass deren Ursache nicht mit dem Terror vom 11. September verbunden ist, bleibt zweitrangig. Der große Rest der Stadt hat indessen ein bitteres Gefühl der Ernüchterung. Und die Angst um den Verlust eines großartigen, urbanen Lebensstils wächst.

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