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Kultur: Weiter werden Menschenrechte missachtet, aber es ist leichter geworden, dagegen einzuschreiten

"Das Grauen ist nach Europa zurückgekehrt." Der erste Satz des Jahrbuchs für Menschenrechte 2000 ist ein bitteres Resumee.

"Das Grauen ist nach Europa zurückgekehrt." Der erste Satz des Jahrbuchs für Menschenrechte 2000 ist ein bitteres Resumee. Ein halbes Jahrhundert nach Holocaust und Zweitem Weltkrieg wird festgestellt: Auch in Europa werden Menschen diskriminiert, in ihrer Würde verletzt, misshandelt und ermordet - nicht nur in Bosnien oder im Kosovo, auch in Deutschland.

Aber neu ist "die Verfolgung der Verletzung von Menschenrechten", wie der Innsbrucker Politikwissenschaftler Anton Pelinka im Kapitel "Human Right Lecture" 1999 betont. Eine tröstliche Botschaft? Laut Pelinka ist die Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen nach dem Ende des Kalten Krieges nicht mehr "potenziell gleichgewichtsbedrohend" und damit nicht mehr "potenziell friedensbedrohend". Eine neue Sensibilität für den Kampf gegen Menschenrechtsverletzungen sei die Folge.

Im Mittelpunkt des Jahrbuchs 2000 stehen die jüngsten Erfahrungen bei der Aufarbeitung von Menschenrechtsverletzungen. Was hat die rechtliche Verfolgung der Täter erbracht, zum Beispiel durch den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag? Welche Chancen haben sogenannte Wahrheitskommissionen? Der niederländische Publizist Daan Bronkhorst erläutert, dass allein die in Südafrika und Guatemala erfolgreich gearbeitet haben. Alle anderen "haben sich als Totgeburten erwiesen, kamen bisher zu keinen brauchbaren Ergebnissen oder scheinen von den Wellen der je nationalen Politik hinweg gespült zu werden". Er fordert ein neues Modell für die Wahrheitskommissionen, das weniger auf einen formalen Abschlussbericht als auf gerichtliche Verhandlungen samt Anklage zielt.

Breiten Raum nimmt das Thema Globalisierung und Menschenrechte ein. Nicht wenige befürchten, dass vor allem die sozialen Menschenrechte zwischen den Interessen transnationaler Unternehmen und dem Wohlstandsstreben reicher Staaten aufgerieben werden. "Der globale Konkurrenzkampf bevorteilt die Starken und benachteiligt die Schwachen", schreibt der Politikwissenschaftler Franz Nuscheler. Aber es werden auch die Chancen gewürdigt. Mary Robinson, UN-Menschenrechtskommissarin, hält es für möglich, dass große Wirtschaftsunternehmen in ihrem Einflussbereich die Durchsetzung der Menschenrechte fördern können. UN-Generalsekretär Kofi Annan fordert einen globalen Pakt gemeinsamer Werte und Grundsätze.

Genau da liegt ein Dilemma; es wird an verschiedenen Stellen des Jahrbuchs deutlich: Einerseits sind Menschenrechte, wie sie in der UN-Charta festgehalten sind, Ergebnis eines demokratischen Konsenses. Andererseits unterliegen sie in ihrer Geltung nicht der mehrheitlichen Zustimmung einer Gesellschaft. Wie begründet sich ihre Autorität? Genau diese Frage schafft Konflikte mit autoritären Systemen, etwa der Kommunistischen Partei Chinas, den Repräsentanten des fundamentalistischen Islam oder dem Heiligen Stuhl der katholischen Kirche.

Das "Jahrbuch Menschenrechte 2000" ist eine interessante, stellenweise spannend geschriebene Dokumentation, die aus dem Ist-Zustand Aufgaben für die Zukunft ableitet. Hilfreich ist das Kapitel mit wichtigen Dokumenten am Ende des Buches. Weniger hilfreich dagegen eine Tabelle, welche Menschenrechtsabkommen wo Geltung haben. Sie nützt nur dem, der die einzelnen Abkommen kennt. Besser wäre, die UN-Charta der Menschenrechte abzudrucken, wenigstens auszugsweise.Gabriele von Arnim, Volkmar Deile u.a. (Hrsg.): Jahrbuch Menschenrechte 2000. Suhrkamp, Frankfurt/Main 1999. 417 S., 19,80 DM.

Raoul Fischer

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