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Buchcover des Romans "Post für Mrs. Bromley" des flämischen Schriftstellers Stefan Brijs.

© promo/Verlag

Weltkriegs-Roman „Post für Mrs. Bromley“: Mit der Lüge leben

Stefan Brijs legt mit „Post für Mrs. Bromley“ einen berührenden Roman über den Ersten Weltkrieg vor.

Der eine will in den Krieg ziehen und ist zu jung, der andere ist alt genug, zieht dem Krieg aber das Literaturstudium in London vor. Englische Truppen kämpfen im Ersten Weltkrieg in Nordfrankreich und Flandern, verlustreich, was den Bedarf an frischen Truppen steigen lässt. Da es keine Wehrpflicht gibt, setzt man auf die Freiwilligen. Wer sich nicht meldet, gerät zunehmend unter sozialen Druck, wird ausgegrenzt und angefeindet. Der flämische Autor Stefan Brijs zeichnet in seinem opulenten Roman „Post für Mrs. Bromley“ aus der Perspektive des Literaturstudenten John Patterson ein ganz besonderes Bild des Ersten Weltkriegs. Kein Hurra-Patriotismus, wie ihn die immer gestellten Kriegsfotos von vor 100 Jahren glauben machen sollen, sondern neben der vorhandenen Begeisterung, es den „Hunnen“ heimzuzahlen, auch Angst und Skepsis vor dem großen Sterben auf dem Kontinent.

John Patterson ist der Milchbruder des 17-jährigen Martin Bromley, der sich mithilfe einer List dann doch noch zur Front gemeldet hatte. Mrs. Bromley, eine gütige Frau, hatte 1895 kurz nach der Geburt ihr Kind verloren und John wie einen eigenen Sohn gestillt und aufgezogen – und damit gerettet. Dafür ist er ihr für immer dankbar.

Wer den Kriegsdienst ablehnt, wird verspottet

Johns Vater hat die traurige Aufgabe als Postbote, die stets häufiger werdenden Todesnachrichten auszutragen, eine fürchterliche Aufgabe angesichts der dramatisch steigenden Anzahl von Gefallenen. Er flüchtet sich in eine Welt der Literatur, sammelt kostbare Bücher, die er zu Hause in von Säcken abgedeckten Regalen vor möglichen Bombenschäden schützen will. Vater und Sohn finden in der Literatur ihren Ausgleich. London wird von deutschen Zeppelinen bombardiert und John muss erleben, wie sein Freund, der Germanistikstudent William, ein Kritiker der Kriegsbegeisterung, immer mehr unter Druck gerät. Sie diskutieren über den Krieg und den vermeintlichen Heldentod, dem William schließlich den Freitod vorzieht. Deutsche Mitbürger in London müssen erleben, wie ihre Geschäfte geplündert werden. Und auch Mary Bromley, in die sich John unglücklich verliebt, verspottet ihn wegen seiner Ablehnung des Kriegsdienstes. Brijs schildert John als einen Beobachter, der allmählich das Gefühl hat, dass ihm seine Welt entgleitet.

Nach dem Tod seines Vaters entdeckt John, dass dieser viele Briefe für die Nachbarschaft unterschlagen hatte, darunter auch den über Martins Tod an Mrs. Bromley. Schließlich meldet auch er sich freiwillig zur Armee und bekommt von Mrs. Bromley den Auftrag, nach Martin zu suchen. Als Adjutant eines Leutnants, der die Post zensieren muss, gelingt es ihm, den Briefverkehr zu manipulieren und Illusionen zu wecken.

Der flämische Schriftsteller Stefan Brijs.
Der flämische Schriftsteller Stefan Brijs.

© promo

Stefan Brijs hat einen sehr gut recherchierten, vielschichtigen Roman geschrieben, der aus ungewohnter Perspektive den Ersten Weltkrieg zum Thema hat. Spätestens im Fronteinsatz erlebt John, wie sehr sein Freund William recht hatte. Propaganda und Lügen gehören zum Alltag, nichts ist, wie es scheint – das ist Johns bittere Lehre. Er versucht dennoch, menschlich zu bleiben. Ein wenig erinnern seine erfundenen Briefe an Jurek Beckers „Jakob der Lügner“. Brijs zeichnet ein schonungsloses Bild dieses Krieges, die Ängste vor den Gefechten, die Sinnlosigkeit des Ganzen und die eskapistischen Tendenzen eines Leutnants, der mit John nahe der Front zum Ausgleich auf Naturbeobachtung geht.

Stefan Brijs: Post für Mrs. Bromley. Roman. Aus dem Niederländischen von Marlene Müller-Haas, btb Verlag, München 2014, 558 Seiten, 22,99 Euro. Ab 14 Jahren.

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