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Kultur: Welttheater im Skizzenblock

Das Leipziger Museum der bildenden Künste befindet sich in einer schwierigen Übergangszeit.Sein alte Domizil ging im Krieg unter, den von den DDR-Behörden zugewiesenen Platz im ehemaligen Reichsgericht mußte es, da das ehrwürdige Haus zum Sitz eines Bundesgerichts renoviert wird, aufgeben, und erst unlängst, als es bereits sein Interimsquartier in wenn auch exzellenter Innenstadtlage bezogen hatte, kam das unwürdige Tauziehen um die Finanzierung des 120 Millionen Mark teuren Neubaus auf dem verhunzten Sachsenplatz zu einem guten Ende.

Das Leipziger Museum der bildenden Künste befindet sich in einer schwierigen Übergangszeit.Sein alte Domizil ging im Krieg unter, den von den DDR-Behörden zugewiesenen Platz im ehemaligen Reichsgericht mußte es, da das ehrwürdige Haus zum Sitz eines Bundesgerichts renoviert wird, aufgeben, und erst unlängst, als es bereits sein Interimsquartier in wenn auch exzellenter Innenstadtlage bezogen hatte, kam das unwürdige Tauziehen um die Finanzierung des 120 Millionen Mark teuren Neubaus auf dem verhunzten Sachsenplatz zu einem guten Ende.In diese Situation hinein eröffnete sich die unerwartete Chance, ein bemerkenswertes Konvolut von Zeichnungen Max Beckmanns aus dem Nachlaß von dessen Frau Mathilde - vom Künstler Quappi genannt - als Dauerleihgabe zu erwerben.Die hocherfreute Museumsmannschaft erwies sich dem Gunsterweis der Künstler-Enkelin Mayen Beckmann gegenüber würdig und legt jetzt in Ausstellung und begleitendem Katalog die Früchte der erstmaligen Beschäftigung mit den 360 Blättern vor.

Beckmann, dieser Titan der deutschen Kunst der ersten Jahrhunderthälfte, ist von Geburt Leipziger; und wenn er auch die Stadt bereits als Zehnjähriger wieder verließ, so ergibt sich aus dieser biografischen Verbundenheit doch eine Verpflichtung für das heutige Museum.Daß die 360 Zeichnungen - die Mayen Beckmann noch durch Leihgaben von vier Gemälden und drei Plastiken ergänzte - bislang unbearbeitet geblieben sind, erstaunt zunächst schon; eben weil Beckmann als die singuläre Figur der deutschen Kunst seiner Zeit umfassende Aufmerksamkeit erfahren hat.Derzeit ist geradezu eine neuerliche "Beckmann-Welle" zu beobachten.Unlängst überraschte das Schloßmuseum in Murnau mit einer zauberhaften Ausstellung von Beckmanns oberbayerischen Motiven.In Kürze wird die Hamburger Kunsthalle das übergreifende, noch kaum erschlossene Thema "Beckmann - Landschaft als Fremde" behandeln, ehe im Herbst das Zürcher Kunsthaus mit "Beckmann und Paris" das Verhältnis zu dem zentralen Sehnsuchtsort des Künstlers untersuchen will.Werkverzeichnisse liegen seit langem vor, und neben zahllosen Ausstellungen samt begleitenden Katalogen schießt eine kaum mehr zu überblickende Fülle von Monografien ins Kraut.

Die Zeichnungen stehen allerdings gegenüber der Fülle der motivgesättigten Gemälde hintan.Beckmann war ein rastloser, ein geradezu manischer Zeichner.Er mußte ständig festhalten, was er sah, ohne auf die Form zu achten.Die Skizzenblöcke dienten ihm als Steinbrüche seiner Kompositionen, um die er vor und auf der Leinwand rang.Wenn man so will, überrascht an dem Leipziger Konvolut als erstes die Kargheit des Materials.Rund 110 Blätter auf von der Zeit gedunkeltem, meist billigem Papier hängen an den ebenso kargen Wänden des Interimsquartiers des Museums im Handelshof, die oft nur mit wenigen Strichen zu verstehen geben, was der Künstler im Augenblick festhalten wollte.Quappi, die lebenslang zärtlich geliebte Ehefrau, behielt Tausende solcher Skizzen; wie sie ja auch die Adressatin so vieler Gemälde war.Darum eben kamen diese Blätter aus Quappis zeitlebens gehütetem Besitz erst nach und nach - und das Leipziger Konvolut erst jetzt - ans Tageslicht.

Der größere Teil stammt aus der Zeit des Ersten Weltkriegs, als Beckmann von Dezember 1914 an in Flandern als freiwilliger Krankenpfleger Dienst tat.Das schleichend zunehmende Grauen angesichts der Kriegsgreuel, der zahllosen Opfer, die vor seinen Augen von der Front herangeschafft und mehr schlecht als recht behandelt oder aber notdürftig bestattet wurden, ist aus den Briefen des Künstlers bekannt; und ebenso die lebenslang wirkende Zäsur, die der Nervenzusammenbruch vom Herbst 1915 bedeutete.Anhand der Zeichnungen aber tritt die Unmittelbarkeit des Kriegserlebnisses als Ausgangspunkt künstlerischen Schaffens, als Urerfahrung für das Beckmannsche "Welttheater" mit seinen bis heute unverbraucht eindrucksvollen Verrätselungen der Motive, deutlicher als je vor Augen.Diesen Augenzeugen-Skizzen folgt die Phase der auf ganz wenige Striche reduzierten Sachlichkeit der zwanziger Jahre, ehe Beckmann in den Jahren des bitteren Amsterdamer Exils das Medium der Zeichnung zunehmend zur Vorbereitung von Gemälden nutzte und schließlich in den knapp bemessenen amerikanischen Jahren bis zum frühen Tod in New York 1950 auch großformatige Zeichnungen fertigte.Die Kriegsskizzen konnten jetzt zur Präzisierung der Beckmannschen Biografie herangezogen werden, insbesondere zur genauen Datierung seines Fronteinsatzes wie seines Zusammenbruchs.Aus späteren Blättern indessen lugen ungesehene Kompositionen hervor, darunter als Blickfang der Leipziger Ausstellung die Komposition eines weiteren Triptychons, jener aus dem Hochmittelalter herüberreichenden Gattung, die Beckmann so monumental wiederzubeleben vermochte.

Überhaupt läßt sich die Arbeitsweise Beckmanns anhand der Leipziger Forschungsergebnisse genauer verstehen.Über mehr als ein Jahrzehnt hinweg greift er Skizzen wieder auf, um sie zu Gemälden auszuführen.Zugleich läßt sich von den Personen seiner Gemälde durchweg sagen, daß sie auf unbestechlich notierten Begegnungen beruhen.Zunehmend Platz in den Gemälden eroberten sich die mythologischen Figuren, die - wie auf dem Triptychon-Entwurf - als Vogelmenschen und behelmte Krieger jenes "Welttheater" bevölkern, zu dem Beckmann das unendliche Chaos der Erscheinungen verdichtete.

Leipzig, Museum der bildenden Künste, bis 13.September.Katalog im Wienand Verlag, 39 DM, im Buchhandel geb.78 DM.

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