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Kultur: Wem Ehre gebührt

Er gilt als Vaterfigur, Kriegsverbrecher, Verschwörer: Soll Hindenburg Ehrenbürger von Berlin und Potsdam bleiben? Das Bild des zweiten deutschen Reichspräsidenten changiert zwischen dem Steigbügelhalter Hitlers und dem Bewahrer der Weimarer Verfassung

Kaum eine Zukunft ist so offen wie die der Vergangenheit. Ob der zweite deutsche Reichspräsident und Kaiserliche Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg auf den Ehrenbürgerlisten Berlins und Potsdams verzeichnet bleiben dürfe, beschäftigt die Öffentlichkeit nach 70 Jahren so, als ob die Verleihung dieser Würde gerade bevorstünde. Unsere Zeit erinnert sich Hindenburgs in erster Linie als Steigbügelhalter Hitlers, und diese unheilvolle Rolle fixiert das zur unentbehrlichen Schulbuchabbildung gewordene Foto, auf dem der ordensgeschmückte Reichspräsident den in devoter Verneigung erstarrten Reichskanzler Hitler am „Tag von Potsdam“ mit seinem Handschlag aufrichtet und so den Schulterschluß zwischen bürgerlicher Reaktion und nazistischer Revolution demonstriert, die zu Holocaust und Völkermord führen würde.

Eine solche Sicht unterscheidet nicht zwischen historischer Wirkung und politischem Wollen. Aber sie hat starke biographische Argumente auf ihrer Seite: Der nach der Schlacht von Tannenberg 1914 zum deutschen Ersatzkaiser aufgestiegene Hindenburg deckte im Ersten Weltkrieg das Programm der totalen Militarisierung, mit dem Deutschlands strukturelle Unterlegenheit gegenüber den Ententemächten bis an den Rand des inneren Zusammenbruchs wettgemacht werden sollte. 1918 dann entzogen sich Hindenburg und sein böser Geist Ludendorff der öffentlichen Übernahme ihrer Verantwortung für den desaströsen Kriegsausgang und schoben für Kapitulation und Friedensschluß zivile Politiker vor. Hindenburg und Ludendorff auch wurden im November 1919 mit ihren demagogischen Aussagen vor dem Untersuchungsausschuss des Reichstags zu Geburtshelfern der Dolchstoßlegende und belasteten die junge Weimarer Republik mit ihrer vielleicht verhängnisvollsten Hypothek.

In der ersten deutschen Republik repräsentierte Hindenburg die monarchische Elitenkontinuität wie kein anderer Deutscher – und akzeptierte 1925 seine Kandidatur für das Amt des Reichspräsidenten erst nach ausdrücklicher Zustimmung seines entmachteten Kaisers im holländischen Exil. Mit Hindenburg und seiner Kamarilla schließlich verbindet sich der über Jahre in Szene gesetzte Plan einer Restaurierung der Monarchie unter Ausschaltung der Sozialdemokratie, der nach dem Ende der letzten parlamentarischen Regierung unter dem Sozialdemokraten Hermann Müller in die Präsidialdiktatur Brünings, Papens und Schleichers führte.

Kandidat mit 84 Jahren

Dies ist eher die Vita eines Henkers denn eines präsidialen Hüters der Republik. Und doch läßt sich mit guten Gründen die Gegenthese vertreten, dass der monarchistische Feldmarschall Hindenburg effektiveren Widerstand gegen die nationalsozialistische Machtübernahme geleistet hat als etwa der kommunistische Parteiführer Ernst Thälmann oder auch Preußens sozialdemokratischer Ministerpräsident Otto Braun. Hindenburg sah während seiner gesamten Amtszeit in der Achtung der Weimarer Reichsverfassung sein höchstes Ziel. Den extensiven Gebrauch des Notverordnungsartikels 48 hatte ihm sein Vorgänger Ebert zwischen 1919 und 1923 vorgemacht, und seit 1930 diente die Kombination von Notverordnung und Reichstagsauflösung mindestens so sehr der Abwehr einer nationalsozialistischen Regierungsübernahme wie dem angestrebten Abbau des parlamentarischen Systems.

Ohne die neuerliche Kandidatur des mittlerweile 84jährigen Hindenburg hätte der nächste Reichspräsident im Frühjahr 1932 Hitler geheißen, und es ist zumindest einseitig, wenn ein so profunder Kenner wie Heinrich August Winkler im Kulturausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses die Auffassung vertrat, dass Hindenburg „seine Wähler verraten“ habe, weil er Hitler schließlich doch zum Kanzler berief. Hat nicht umgekehrt das Lager der „Weimar-Deutschen“ die politische Reputation des „Potsdam-Deutschen“ Hindenburg missbraucht, als sie ihn, den einstigen Gegner, in durchsichtiger Weise zu ihrem Kandidaten machte, um einen Keil in die Rechte zu treiben und einer Republik ohne republikanische Mehrheit zu retten?

Jedenfalls blieb der dank eines von der SPD bis zur DVP reichenden Wahlbündnisses wiedergewählte Reichspräsident Hindenburg sich und seiner Wahlproklamation nur treu, als er im Frühsommer 1932 die Ausgrenzungspolitik gegenüber der SPD mit einem neuen Reichskanzler, nämlich Papen, wieder aufnahm und gleichzeitig gegen den anschwellenden Strom der NS-Bewegung durchzusetzen suchte. So entschlossen der mit der Reichstagswahl vom Juli 1932 zum mit Abstand stärksten Parteiführer aufgestiegene Hitler die Kanzlerschaft verlangte, so entschlossen stellte sich Hindenburg ihm in den Weg. Im August und November 1932 erteilte er ihm mit der Erklärung, die Macht nicht einer Partei und einem Manne anvertrauen zu können, der auf eine Parteidiktatur zusteuerten, eine brüske Abfuhr.

Dass Hitler am 30. Januar 1933 doch noch Reichskanzler werden konnte, geht denn auch in erster Linie auf eine Intrige der Kamarilla um Papen zurück und – ironischerweise – auf die Sorge des Reichspräsidenten vor einem Verfassungsbruch. Denn erst als der bisherige Reichskanzler Schleicher in der Januarkrise auf die Ausrufung des Staatsnotstandes drängte und unter Bruch der Verfassung eine Reichstagsauflösung ohne fristgerechte Neuwahl verschlug, stimmte Hindenburg zögernd einer verfassungskonformen Regierungsbeteiligung Hitlers zu.

Potsdamer Rührkomödie

Steigbügelhalter und Bollwerk – aus Hindenburgs politischer Rolle lassen sich Ehrung und Verdammung gleichermaßen begründen. Dies zwingt zum Blick auf eine andere Ebene und damit auf die Umstände seiner Aufnahme in die Ehrenbürgerliste. In Berlin wie in Potsdam erfolgte dieser Akt im April 1933, und beide Male galt die Ehrung zugleich Hindenburg und Hitler. Sie stand im Kontext der Reichstagseröffnung am „Tag von Potsdam“, auf den die Potsdamer Verleihungsurkunde an Hindenburg auch ausdrücklich Bezug nahm. Anders aber als gemeinhin angenommen, stellte die „Potsdamer Rührkomödie“ (Friedrich Meinecke) keineswegs eine meisterhafte Verführungsleistung durch die NS-Propaganda dar, sondern verbarg hinter dem Pathos von Kanonensalut und Glockenklang ein erbittertes Ringen um die symbolpolitische Vorherrschaft in der „nationalen Erhebung“, aus dem zunächst Hindenburg und nicht Hitler als Sieger hervorging.

Nur widerstrebend nämlich hatte der Reichspräsident seine ursprüngliche Ablehnung revidiert, die sakrale Aura der Potsdamer Garnisonkirche durch eine politische Manifestation zu entweihen. Und der Preis seines Zugeständnisses hieß, dass er und nicht der Kanzler die tragende Rolle im Potsdamer Staatsakt spielen würde. Während der in ungewohntes Zivil genötigte Hitler sich mit Ausnahme seiner Ansprache in der Kirche an den Rand des Geschehens verbannt sah, stand Hindenburg vom Gottesdienst in der Potsdamer Nikolaikirche über einen anschließenden Autokorso durch die spaliergesäumten Straßen Potsdams über die Kranzniederlegung an der Gruft der Preußenkönige bis zur Abnahme der Schlußparade vor der Garnisonkirche im Mittelpunkt einer Veranstaltung, die eine letzte glänzende Manifestation des konservativen Preußentums bedeutete und der verbreiteten Hoffnung auf eine Restaurierung der Hohenzollernmonarchie neue Nahrung gab.

An diese Demonstration erinnerte die Ehrenbürgerurkunde, die der deutschnationale beherrschte Magistrat Potsdams Hindenburg am 10. April mit dem Dank der Bürgerschaft ausstellte, „daß sie an dem bedeutungsvollsten geschichtlichen Tage den ersten Diener des Reichs in ihrer Mitte seines hohen Amtes walten sehen durfte“. Zu diesem Zeitpunkt aber hatte die Dynamik der NS-Bewegung die Bastionen des deutschnationalen Konservativismus schon ins Wanken gebracht und den „Tag von Potsdam“ in den Erinnerungsort des nationalsozialistischen Sieges zu verwandeln begonnen, als der er bis heute fortlebt. Am 8. April nahm die Stadtverordnetenversammlung den Zusatzantrag der NSDAP-Fraktion an, das Verfahren so zu beschleunigen, dass die „Verleihung der Ehrenbürgerrechte an den Herrn Reichskanzler zu dessen Geburtstage am 20. April 1933 stattfinden“ könne, während Hindenburg seinen Ehrenbürgerbrief erst am 20. Oktober erhalten sollte.

Spiegel der Gegenwart

Ein eindeutiges Urteil ist auch aus diesem Vorgang nicht zu gewinnen, der ebenso einen symbolischen Todesstoß für die Republik bedeutete, wie Ausdruck der Konkurrenz zwischen monarchischer Reaktion und nationalsozialistischer Revolution war. Ob Hindenburg Ehrenbürger Berlins und Potsdams bleiben soll oder nicht, ist daher letztlich eine Frage nach der geschichtskulturellen Verfassung unserer Gegenwart. Das Ehrenbürgerrecht erlaubte ursprünglich dem städtischen Rat, Auswärtige und Nicht-Bürger mit dem Bürgerbrief auszustatten, die sich ein besonderes Verdienst erworben hatten, und reduzierte sich nach 1918 auf die Einladung zu Feierlichkeiten und die Gewährung einer Ehrengrabstelle. Nun ruht der Sarkophag des 1934 verstorbenen Hindenburg seit Kriegsende in einem Seitenschiff der Marburger Elisabethkirche, und eine Überführung nach Berlin oder Potsdam steht nicht zur Diskussion. Daher geht es eben nicht um die Alternative, Hindenburgs Ehrenbürgerschaft entschlossen zu tilgen oder ungewollt zu bestätigen. Die Frage ist vielmehr, inwieweit historisches Gedenken nur ein Spiegel unserer Gegenwartswerte sein soll oder gegebenenfalls auch als ihr Kontrapunkt Existenzrecht hat.

Vielleicht kann ein Rückgriff auf die berühmte Formel Gustav Radbruchs zur Versöhnung von positivem und normativem Recht hier einen Ausweg bieten. Demzufolge wäre eine Vergangenheitskorrektur durch Entziehung einer einmal verliehenen Ehrenbürgerschaft nur dann angebracht, wenn die historische Ehrung in einen unerträglichen Gegensatz zum Normensystem der Gegenwart tritt. Eine solche unerträgliche Belastung würde die Beibehaltung städtischer Ehrenbürgerschaften etwa für Hitler und seine Paladine bedeuten. Aber die zahllosen deutschen Städte, die im 19. und 20. Jahrhundert vordemokratische Persönlichkeiten wie den 1847 geborenen Generalfeldmarschall und Reichspräsidenten von Hindenburg mit Ehrenbürgerschaften bedacht hatten, wären nicht gezwungen, ihre Gedächtnisspeicher regelmäßig durch geschichtspolitische Überwachungsvereine mit einem Unbedenklichkeitsstempel versehen zu lassen.

Der Autor ist Projektleiter am Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam und lehrt an der Freien Universität Berlin. Zuletzt veröffentlichte er u. a. „Das Diktat des Konsenses. Geschichtswissenschaft in der DDR 1949-1969“, München 2001.

Martin Sabrow

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