zum Hauptinhalt

Kultur: Wem’s frommt

Drei Zensurversuche in Russlands Kunstszene – getarnt als Sorge um Religion und Nationalkultur

Die Moskauer Kunst-Biennale hat ihren Skandal: Rechtsanwalt Michail Woronin reichte beim Samoskworezker Bezirksgericht Klage gegen Wassilij Bytschkow und Marat Guelman ein. Bytschkow leitet das Zentrale Haus des Künstlers, für das Guelman die Ausstellung „Rossija 2“ konzipiert hatte – eine zeitgenössische Kunstschau, die sich explizit als Gegenentwurf zum offiziösen Russland Wladimir Putins definiert. Die Anklageschrift legt Bytschkow und Guelman die „Erregung religiösen Hasses“ sowie „politischen Extremismus“ zur Last. „Zur Kompensierung des moralischen Schadens“ fordert Woronin eine Entschädigung in Höhe von fünf Millionen Rubel (rund 140000 Euro).

Der Anwalt nennt die Ausstellung eine „von schwer kranken Menschen initiierte Provokation“. Avantgardistische Kunst müsse ihren Platz haben, „aber wenn Künstler ihre inneren Probleme ausbreiten“, sei das „keine Kunst, sondern Pathologie“. Die Ausstellung gehöre daher ins Serbskij-Institut, eine Moskauer Psychiatrieklinik. Die Anklageschrift liegt nach Auskunft der Marat-Guelman-Galerie derzeit der Staatsanwaltschaft vor – diese Woche soll entschieden werden, ob es zu einem Prozess kommt.

Der Fall „Rossija 2“ erinnert fatal an den laufenden Prozess gegen das Moskauer Sacharow-Museum, das 2003 eine Ausstellung zeitgenössischer Kunst unter dem Titel „Vorsicht, Religion“ gezeigt hatte. Russische und internationale Künstler thematisierten darunter auf mitunter provokative Weise die Rolle der Religion in der heutigen Gesellschaft; die Ausstellung war wenige Tage nach der Eröffnung von einer Gruppe militanter Christen verwüstet worden. Auf der Anklagebank landeten jedoch nicht die Vandalen, sondern – auf Druck der orthodoxen Kirche – die Ausstellungsmacher. Anfang März forderte Staatsanwältin Kira Gudim nun drei Jahre Strafkolonie für Museumsdirektor Jurij Samodurow sowie je zwei Jahre für dessen Mitarbeiterin Ljudmila Weselowskaja und die Künstlerin Anna Michaltschuk. Allen drei Angeklagten soll künftig die Bekleidung von Verwaltungsposten untersagt werden, des Weiteren fordert Gudim die „Zerstörung der Beweismittel“ – sprich der beschlagnahmten Kunstwerke.

Einen gravierenden Unterschied weisen die Fälle allerdings auf: Agiert im Prozess gegen das Sacharow-Museum die Kirche als treibende Kraft, so firmieren in der Anklageschrift gegen Guelman und Bytschkow sieben Mitglieder des Moskauer Künstlerbundes. Was zunächst wie Hochverrat unter Zunftgenossen anmutet, dürfte in Wirklichkeit auf den uralten Konflikt zwischen „Westlern“ und „Slawophilen“ zurückzuführen sein. Letztere fordern eine Rückbesinnung auf die Wurzeln der slawischen Kultur, Erstere sehnen geistige Erneuerung durch die Übernahme westeuropäischen Gedankenguts herbei. Die Moskauer Biennale war eindeutig für „Westler“ konzipiert – was den Unmut jener Künstler erregte, die sich der Tradition verschrieben haben.

Dazu zählt neben den Unterzeichnern der Anklage auch der 34-jährige Maler Pawel Ryschenko, der sich Anfang Februar in der TV-Sendung „Russischer Blick“ mit beißender Kritik an der Biennale hervortat. Der russische Mensch, philosophierte Ryschenko, suche in Kunstwerken vor allem nach der Seele des Künstlers – wenn er dann ein schwarzes Quadrat vorgesetzt bekomme, fühle er nur Leere. Gemeint war jenes Bild, mit dem Kasimir Malewitsch vor einem knappen Jahrhundert den russischen Suprematismus erfand. Ryschenko selbst greift bei seinen Werken weit in die Vergangenheit zurück: Er kopiert russische Sakralkunst und Landschaftsmalerei im Stile Repins.

Zu einem wahren Veteran im Umgang mit der Zensur hat sich in diesem Frühjahr der Schriftsteller Wladimir Sorokin gemausert. Vor zwei Jahren hatte dessen Buch „Der himmelblaue Speck“ der kremlnahen Jugendorganisation „Gemeinsam Gehende“ so sehr missfallen, dass deren Angehörige es im Rahmen öffentlicher Kundgebungen im Klo herunterspülten – um anschließend Blumen vor dem Moskauer Puschkin-Denkmal niederzulegen. Nun hat Sorokin das Libretto für eine Oper verfasst, die am 23. März am Bolschoi-Theater Premiere feiern soll – und sieht sich erneut mit dem Vorwurf der Pornografie konfrontiert.

In „Die Kinder Rosentals“ fabriziert ein jüdischer Gen-Forscher, der vor den Nazis in die Sowjetunion geflohen ist, Klone von Komponisten wie Verdi, Tschaikowskij, Mozart und Wagner. Nach Rosentals Tod gelingt den Klonen Anfang der Neunzigerjahre die Flucht aus dem Moskauer Labor, woraufhin sie als Obdachlose mit den Wirren der Wendezeit konfrontiert werden. Die Inszenierung wurde bereits vor zwei Jahren beschlossen – als erste vom Bolschoi-Theater bestellte Originaloper seit 30 Jahren. Für die Musik wurde der renommierte Komponist Leonid Desjatnikow verpflichtet.

Anfang März nun beauftragte die russische Staatsduma mit 293 zu zwölf Stimmen ihren Kulturausschuss mit der Überprüfung der Angelegenheit. Initiiert hatte die Abstimmung Sergej Newerow, ein Abgeordneter der kremlnahen Jedinaja-Rossija-Fraktion. Man könne nicht zulassen, erklärte Newerow, dass „Sorokins abgeschmackte Stücke ausgerechnet auf einer Bühne gezeigt werden, die weltweit die russische Kultur repräsentiert“. Die Frage, ob es sich um einen Zensurversuch handele, beantwortete Newerow im Fernsehen mit einem klaren „Ja“, die Frage, ob er mit dem Libretto vertraut sei, dagegen mit „Nein“. Was Sorokin zu der sarkastischen Replik veranlasste, unter Stalin seien Bücher wenigstens gelesen worden, bevor sie verboten wurden.

Newerow hofft außerdem, dass „gewisse Beamte im Kulturministerium auf den Präzedenzfall aufmerksam“ werden. Eine Warnung an den einflussreichen liberalen Kulturpolitiker Michail Schwydkoj, der sich bislang erfolgreich gegen jegliche Art von Zensur verwahrte. Nun gerät er gleich doppelt unter Beschuss: Auch Rechtsanwalt Michail Woronin nennt Schwydkoj im Falle Guelman als Mitverantwortlichen für die Besudelung christlicher Symbole.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false