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Kultur: Wendeverlierer und Landphilosophen

Meckpomm lebt: Die Doku „Am Ende der Milchstraße“ zeigt ein Dorf jenseits aller Idyllen.

Was ist das Dorf? Klar, das Gegenteil von Stadt. Und Heimat, ob geliebt oder auch gehasst. Eine ländliche Ansiedlung, ursprünglich geprägt durch kleinbäuerliche Landwirtschaft und die lebendige Einheit von Leben und Arbeiten. Seit der Industrialisierung auch der Landwirtschaft, dem Hofsterben im Westen und dem Ende der LPGs im Osten, ist das Dorf meist zur Schlafstätte für Pendler mutiert. Geprägt nicht mehr von Aussaat, Ernte und Schlachtfesten, sondern allenfalls von inniger Nachbarschaft und Feuerwehrbällen belebt. Wenn es gut läuft. Wenn es schlecht läuft, regiert die Leere vor den Gardinen. Und das Fernsehgeflimmer dahinter.

In Wischershausen, einem 50-SeelenFlecken ohne Kirche, Kneipe, Laden oder Sportplatz, läuft es gut und schlecht zugleich. Das Land ist weit, der Himmel hoch, die Dorfstraße verwaist – sich allmählich entvölkerndes Mecklenburg-Vorpommern halt. Marode Häuser, Gerümpel und Kleinvieh beherrschen die Szenerie. „Unser Dorf soll schöner werden“– Idylle ist anderswo. Nur Bauer Maxe und Melker Oli haben eine feste Arbeit, die anderen sieben Protagonisten von „Am Ende der Milchstraße“ sind arbeitslos, zu alt dafür oder zu jung, wie die an einer Hand abzählbare Dorfjugend. Immerhin, es gibt sie noch.

Trotzdem zeichnen die Dokumentarfilmer Leopold Grün und Dirk Uhlig, die 2007 bereits bei der Dean-Reed-Doku „Der Rote Elvis“ zusammengearbeitet haben, keine düstere Sozialreportage. Ihr kontemplativer, sparsam mit Musik unterlegter Film mäandert in schlichten Bildern durch die Jahreszeiten und macht vorsichtig und verhalten Hoffnung, wo keine Zukunft mehr zu existieren scheint. Die Wischershausener pflegen Tugenden der Vergangenheit und finden darin Halt. „Jeder kann was, das gibt eine Dorfgemeinschaft“, sagt Harry. Der bezopfte Dorfphilosoph träumt von einer Wohnmobilreise ans Nordkap und weiß doch genau, dass er mangels Geld niemals hinkommen wird. Er repariert Elektrogeräte und schlägt Holz für Maxe, der mästet ihm dafür ein Schwein. Das aus Mangel wiedergeborene vorindustrielle Tauschhandelsprinzip schafft im Dorf ohne Durchgangsstraße Würde und Autarkie. Keiner hat viel, dafür endlos Zeit für einen Schwatz bei Dosenbier und Kirschlikörchen haben alle. Unter Städtern gilt das längst als der wahre Luxus. Nicht auszuschließen auch, dass mancher hippe Kapitalismuskritiker, der politisch korrekt vegan lebt, um das Schweinesystem nicht zu füttern, angesichts dieses Films Sehnsucht nach einer ehrlichen Hausschlachtung entwickelt.

Doch Grün und Uhlig tappen nicht in die Falle, die wackelige und auf Transferleistungen angewiesene Wischershausener Gemeinschaft als tragfähigen Lebensentwurf für die Randständigen dieser Gesellschaft darstellen. Sie schönen nicht. Sie zeigen Verfall, sie zeigen Frust, sie zeigen Selbsttäuschung, sie zeigen Wendeverlierer, aber sie zeigen auch Heimatliebe und Zufriedenheit. Anders gesagt: Sie geben dem Dorf und der freiwillig unfreiwilligen Nischenexistenz seiner Bewohner eine Chance.Gunda Bartels

fsk, Hackesche Höfe, Lichtblick, Union

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