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Kultur: Wenn Cowboys kiffen

Hier rauchen nicht nur Colts: Die Country-Legende Willie Nelson veröffentlicht ein Reggae-Album

Eine der schönsten Szenen in dem neuen Film „Almost Heaven“ geht so: Eine auf Jamaika gestrandete deutsche Countrysängerin (Heike Makatsch) muss in einem All-Inclusive-Club mit einer Calypsoband auftreten. Das Publikum besteht aus Touristen, die bereits nach dem zweiten Countrystück zu gähnen anfangen. Da legt der Bandleader, ein bärtiger alter Musiker, einen Reggae-Rhythmus vor, und die Sängerin intoniert „Country Roads“ von John Denver auf Jamaikanisch. Würde nicht der Clubmanager dazwischengehen, wäre diese kuriose Mischung vielleicht ein Hit geworden.

Man kann sich kaum einen größeren Gegensatz vorstellen als den zwischen einem ordentlichen Freizeitcowboy in Karohemd und spitzen Stiefeln und einem langhaarigen Rastafari mit qualmendem Joint und Dreadlocks bis zum Po. Die Mischung aus Country und Reggae in dem Film „Almost Heaven“ wirkt da wie ein Regieeinfall, der nach Genuss von ein paar Gramm gutem Jamaikagras zustande kam. Wäre da nicht das soeben erschienene Album der amerikanischen Country-Legende: Willie Nelsons neue Platte „Countryman“ ist trotz ihres wenig originellen Namens eine echte Überraschung. Nelson singt darin die üblichen Cowboylieder. Aber als Reggaeversionen.

Willie Nelson war immer für Überraschungen gut. Der 1933 in dem Kaff Abbott tief im Herzen von Texas geborene Junge griff im Alter von sechs Jahren zur Gitarre und hatte bereits als Schüler eine eigene Radiosendung. Anfang der Sechzigerjahre verdiente er seine Dollars mit dem Schreiben von Liedern und dem Auflegen von Platten. 1962 landete er mit Patsy Cline und Faron Young auf Platz eins der Charts. Anders als bei den eher biederen Law-&-Order-Sängern der texanischen Volksliedszene ging die Hippiebewegung an Nelson nicht spurlos vorüber. Er bekannte sich offen zum Konsum von Marihuana und gegen den Vietnamkrieg, was nicht nur im Nashville-Establishment zu Irritationen führte. Sein Album „Wanted: The Outlaw“ war 1975 dennoch das bis dato erfolgreichste Country-Album aller Zeiten.

Neben Johnny Cash, Tompball Glaser, Waylon Jennings und dessen Frau Jessie Colter gehörte Nelson zu den Stars der so genannten Outlaw-Bewegung. Berühmt wurde er als eine Art Hippie in Cowboystiefeln – und ist es bis heute geblieben. Sein ergrautes Haar trägt der Sänger immer noch gerne in langen, geflochten Doppelzöpfen und sieht damit aus wie der Indianer unter den Cowboys. Dazu engagierte er sich für seltsame Projekte. 1985 rief er mit den Kollegen Bob Dylan, Johnny Cash und Neil Young die „Farm Aid“-Konzerte ins Leben, um bei den Banken verschuldete Kleinbauern zu unterstützen. Die Schicksalsschläge, von denen seine Lieder handeln, trafen ihn auch persönlich: 1970 brannte seine Farm, 1991 war er nach einem Besuch der Steuerfahnder selbst abgebrannt. Nelson hatte Steuern in Höhe von 16,7 Millionen Dollar „vergessen“ und verlor nun alles auf einmal: Haus und Hof, Aufnahmestudio und den geliebten Golfplatz.

Doch der Cowboy, dem man den Sattel unterm Hintern weggezogen hatte, rappelte sich wieder auf. Unermüdlich tourte er durch Honky-Tonk-Kaschemmen und schrieb rund eintausend Lieder, in denen es darum geht, dass Frauen Männer treffen, die in Autos über die großen Straßen fahren und die Frauen dann den Männern in den Autos hinterherschauen. Oder die Frauen setzen sich ins Auto und die Männer schauen ihnen nach. Mit anderen Worten: Nicht alle Lieder waren großartig, aber sie brachten die benötigten Tantiemen, und Nelson konnte den Golfplatz wieder zurückkaufen.

Mittlerweile ist Country längst nicht mehr nur die Musik der Lastwagenfahrer und kleinen Angestellten mit Airbrush-Wolf oder nackter Squaw auf dem T-Shirt, daran ist auch Willie Nelson schuld. „Simpel gesagt, handelte es sich bei der neuen Musik nicht mehr um Country – es war Rock’n’Roll“, schreibt Country-Experte Franz Dobler über den Outlaw-Sound. Die Crossover-Experimente von Johnny Cash vermählten Country sogar mit Gothic und Dark Wave, Südstaatensängerin Loretta Lynn versuchte sich auf ihrem letzten Album ebenfalls in Sachen Pop.

Warum also nicht auch Reggae? Zumal die Stelle der amtierenden Großvaterfigur für die Musiker nachwachsender Generationen ist seit zwei Jahren vakant ist. Zuletzt hatte sie Johnny Cash inne. Ob allerdings Willie Nelsons Ausflüge in den Reggae ähnlich gefeiert werden wie Cashs „American Recordings“, die nun mal der kaum erreichbare Maßstab für Country-Pop-Experimente sind, darf man bezweifeln. Zwar findet sich mit „I’m A Worried Man“ ein von John und June Carter-Cash geschriebener Titel, und auf dem in den jamaikanischen Farben gehaltenen Cover prangt provokativ ein stilisiertes Marihuanablatt. Doch eine revolutionäre Kraft entfalten die wenigsten Stücke.

Die meisten Lieder aus Nelsons unermüdlicher Feder klingen schlicht nach bekifftem Cowboy. „The Harder They Come“ von Reggae-Großvater Jimmy Cliff allerdings unterstreicht mit Harp und sparsamer Steel-Guitar im Hintergrund die Verwandtschaft der Musik der Entrechteten Jamaikas mit den großen Themen des amerikanischen Westens: Tod, Rache und Gerechtigkeit. Und wie sang schon Bob Marley? „I Shot The Sheriff“. Auf der nächsten Hanfparade jedenfalls darf man mit einigen Cowboyhüten rechnen.

Willie Nelson: Countryman (Lost Highway /Universal).

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