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Kultur: Wenn die Pilger Party feiern

Vor dem Weltjugendtag in Köln: Massen, Mystik und die Moral der katholischen Kirche

Dass nicht alle Menschen dasselbe meinen und dasselbe tun, wenn sie von Liebe sprechen, merkt man spätestens, wenn die Party vorbei ist. Am Ende eines jener Weltjugendtage, deren regelmäßige Feier all around the world Papst Johannes Paul II. 1986 eingeführt hatte, soll einer seiner Kardinäle angesichts einer Wiese voller Kondome gesagt haben: „Die brauchen wir nicht, diese Jugendlichen.“ Heute würde sich Joseph Ratzinger, der damals mit der Bewachung der katholischen Glaubens- und Sittenlehre beauftragt war, vielleicht – als Oberhirte – vorsichtiger äußern: Wenn er als Benedikt XVI. am 18. August den XX. Weltjugendtag in Köln besucht.

Doch an der Grundausrichtung des Theologen Ratzinger, der christlicher Konsequenz vor quantitativer Publikumszustimmung im Zweifel den Vorzug gibt, wird sich selbst durch seine neue Bereitschaft zur pontifikalen Weltumarmung nichts ändern. In dieser Unbeirrbarkeit steht dem Papst die Patronin des Weltjugendtreffens zur Seite, jene Heilige Ursula des 4. Jahrhunderts, die Jungfräulichkeit gelobt hatte und dafür mit ihren elftausend jungfräulichen Gefährtinnen auf den Wiesen vor der Stadt Köln der Legende nach den Märtyrertod erlitt.

Welche Sorte Jugendliche die Kirche gerne hätte, ist die eine Frage; dass sie überhaupt welche braucht und deshalb gern möglichst viele junge Menschen an sich heranziehen würde, liegt auf der Hand. Große Glaubensgemeinschaften leiden an demselben Überalterungsproblem wie die Gesellschaft, was auf Dauer nicht nur die Kirchensteuereinnahmen beeinflusst. Wo die Industrie das Segment junger Käuferschichten sucht, wo die Werbung das Ideal ewiger Jugendlichkeit zum Imagetransfer einsetzt, braucht die Kirche Jugendliche zur gelegentlichen Selbstbelebung, zur Nachwuchs-Sicherung. In späteren Jahren sind die Schäfchen oft erst angesichts von Lebenskrisen oder unter dem Eindruck der „Todesfalle“ (wie Pastoraltheologen sagen) wieder ansprechbar: Wer erst mal, beschäftigt mit Beruf und Familie, zur mittleren Generation gehört, zeigt sich für Grundfragen der Lebensorientierung weniger empfänglich.

Wer sich jung für Ideale engagieren oder mit der zölibatären Lebensform alles auf eine Karte setzen soll, braucht eine Initialzündung. „Freizeiten“ oder Pilgerfahrten für Jugendliche wurden zu diesem Zweck schon früher angeboten. Auch große, unverbindlichere Jugendtreffen dienen einer solchen Rekrutierung, kommen zudem den Entscheidungsängsten heutiger Teenager entgegen, die sich vielleicht mit Haut und Haaren, aber nur befristet, auf ein bestimmtes Projekt einlassen möchten: Mit dem Besuch des Kirchentages irgendwo in Deutschland, der Teilnahme an der Jugendwallfahrt in das ökumenische Kloster Taize oder an dem Jugendfestival sonstwo auf der Welt ist eine intensive Laborerfahrung verbunden. Man erlebt das Flair eines Massengottesdienstes live, gewiss. Man stapelt ehrenamtlich Isomatten in Turnhallen, teilt Essen aus. Man redet schwitzend und lächelnd, angesteckt vom Universalismus des Unternehmens, eine Mittagspause lang mit irgendeinem schüchternen Südländer, den man sonst langweilig finden würde; für den man sich verantwortlich fühlt, ohne dass der eine nur ein Wort der Sprache des anderen spricht; mit Händen, Augen, Herzenssignalen – und trennt sich beglückt, als habe man einen Freund gefunden und das typisch Katholische, die Einbeziehung der ganzen Welt, plötzlich konkret verstanden.

Wenn die Party vorbei ist, kommt der schwierige Teil: Laborerfahrung ins normale Leben zu übersetzen. Was das heißt, interpretieren die Sachwalter der Jugend unterschiedlich. Konservativ-charismatische Bewegungen, die in den vergangenen Jahrzehnten neben der kirchlichen Verbandstrukur gewachsen sind, betonen hier eher den Aspekt der persönlichen und liturgischen Frömmigkeit. Die 15 unter dem Dach des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) zusammengefassten Verbände mit rund 650000 Mitgliedern setzen besonders auf den sozialen Einsatz, die „Mitgestaltung eines demokratischen Gemeinwesens“.

Die Beiträge der BDKJ-Organisationen zum Kölner Weltjugendtreffen handeln von erneuerbaren Energien, vom „International Hearing für Justice and Peace“, vom „Multikulti-Weltjugendtagsfestival“. Spezifische Unterschiede zur Wertepalette anderer politisch korrekter Vereine in einer liberalen Gesellschaft fallen nicht ins Auge. Hardliner wie der Kölner Kardinal Meisner betrachten den hierarchiekritischen BDKJ auch deshalb als „antirömisch“ und „antikatholisch“, wie schon mal aus Kreisen der Fuldaer Bischofskonferenz zu vernehmen war. Die Jugend als solche sei jedoch keineswegs „hedonistisch und egoistisch“, hat Meisner dieser Tage im Hinblick auf das Großereignis in seiner Bischofsstadt gesagt.

Obwohl Meisner nicht für die Mehrheit im Episkopat spricht, wissen die Bischöfe, dass ihre Kirche, will sie sich nicht überflüssig machen, mehr als ein Spiegelbild der Umgebungsgesellschaft bieten muß. In diesem Sinn ist wohl das anspruchsvolle Motto des Weltjugendtages zu verstehen, eines Großevents für fast eine Million Menschen, der zugleich das intime mystische Erlebnis auf seine Fahnen schreibt. „Wir sind gekommen, um IHN anzubeten“, heißt der Bibelspruch über Köln; eine Aussage der legendären Heiligen Drei Könige, die mit Jungfer Ursula ebenfalls zu Festival-Patronen ernannt worden sind. Erst wenn die Laborerfahrung von Sankt Woodstock – über das kollektive Glücksgefühl und die soziale Kompetenz hinaus – auch eine persönliche Begegnung mit dem Chef vom Pontifex vermittelt, ist nach Ansicht frommer Kirchenfunktionäre der Hundert-Millionen-Aufwand für eine solche Veranstaltung gerechtfertigt.

Doch die Erwartungen an das gemeinsame Erleben einer großen christlichen Stadt auf Zeit sind unterschiedlich. Für die meisten Jugendlichen steht Gemeinschaftserfahrung, die coole Stimmung, im Vordergrund. Eltern hoffen darauf, daß ihre Kinder in Pubertätsschwankungen wieder Tritt fassen: auf neutralem Boden, fernab von Gemeinde und Elternhaus, positive Impulse mitnehmen. Die kirchlichen Verantwortlichen wiederum treibt, neben ihrer missionarischen Zielsetzung, auch ein Marketing-Motiv – möglicherweise ein Minderwertigkeitskomplex. Das respektable zweitausendjährige Uraltschlachtschiff Ecclesia meint, sich trendy verkaufen zu müssen. Als Symbol für diese verjüngende Anmutung einer ergrauten Führungscrew hängt gegenüber dem Kölner Dom zur Zeit ein Riesenposter des verstorbenen Papstes, zusammengesetzt aus 100000 Fotos seiner jungen Fans in aller Welt.

Für lange Zeit werde dieses XX. Weltjugendtreffen „das Bild der katholischen Kirche prägen“, prophezeit die „Süddeutsche Zeitung“. Es werde mitbeeinflussen, „wer in dieser Kirche die Begriffe prägt, die Richtung des Aufbruchs weist“. Doch eine solche Überschätzung verkennt die Realitäten des Alltags nach der Party: für die Alten der Kirche, die das Spektakel im Fernsehen sehen konnten; für die mittlere Generation, die zu beschäftigt ist, sich religiös zu engagieren, aber ihre Kinder zunehmend kirchlichen Erziehungseinrichtungen anvertraut; für die Jugendlichen, die im säkularen Umfeld lernen müssen, ihre Ich-Schwäche zu überwinden und dazu zu stehen, das sie freiwillig und cool gelegentlich in den Gottesdienst gehen.

Obwohl die katholische Kirche es perfekt versteht, Großereignisse und die dazugehörigen Panoramabilder zu inszenieren, stellt nicht der mediale Image-Effekt die entscheidende Auswirkung dieser internationalen Massentreffen dar. Für die Teilnehmer rückt eine andere Kernerfahrung in den Vordergrund. Pilgerreisen als Passageritus gibt es in vielen Religionen. Gewiss stärken Pilger auch die Priesterkaste des Heiligtums, dem sie ihre Reverenz erweisen. Vor allem aber bewegen sie ihren eigenen Körper von hüben nach drüben und produzieren auf dieser Reise Bewegung der Seele. Die Überlegenheit solcher leibhaftigen Eindrücke gegenüber digitalen Impressionen läßt sich kaum überschätzen.

Das Lernziel des Pilgers, ob er nun zum Reliquienschrein wallt oder zum spirituellen Laboratorium Jugendtreff, ist in jedem Fall die Einübung einer flexiblen Grundhaltung für seine Zeit nach der Rückkehr. In alten Zeiten nannte man solch eine Erfahrung: unterwegs ins Himmelreich zu sein. Was heißen könnte: keine feste Stätte auf Erden zu haben, weniger Sicherheit. Migrant zu sein.

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