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Kultur: Wenn ich einmal groß bin

Das Brooklyn Museum präsentiert sich neu – mit Sargents Kinderbildern

New York besteht – was in Europa gern übersehen wird – nicht allein aus Manhattan, sondern aus vier weiteren, riesigen Bezirken. Einer von ihnen ist Brooklyn. Seit der Eingemeindung der vordem selbstständigen Stadt vor 110 Jahren liegt Brooklyn im Schatten Manhattans – als Wohnadresse eben noch gelitten, als Ort zum Leben missachtet.

Das ändert sich seit einiger Zeit erheblich; Künstler, Musiker und Schriftsteller sind wie so oft die Vorreiter. Manche neighborhood erlebt eine regelrechte Renaissance. Auch das Kulturleben gewinnt an Konturen. Genau in diesem Trend liegt das Brooklyn Museum – das lange Zeit mit dem Zusatz „of Art“ firmierte –, das sich einen bemerkenswerten Umbau seiner wenig einladenden Eingangsfront, aber mehr noch eine durchgreifende Neupräsentation seiner reichen Sammlungen gegönnt hat.

Ursprünglich sollte das Museum in Anspruch und Ausmaß mit dem Metropolitan Museum der Konkurrenzstadt New York mithalten. Obwohl nur ein Bruchteil der enormen Ursprungsplanung verwirklicht werden konnte, beeindruckt die neoklassische Eingangsfassade des vor 1900 tonangebenden Architekturbüros McKim, Mead & White noch immer. Dahinter aber verblasste das Profil des Museums immer mehr, bis auch die Besucherzahlen auf magere 200000 im Jahr absackten. Doch jetzt wirbt das Museum entschlossen um das Millionenpublikum „seines“ Stadtteils – ohne darum aber zur bloßen Lokalgröße zu schrumpfen.

Zunächst einmal empfängt ein gläserner Vorbau den Besucher, der bis dahin durch schmucklose Türen eintreten musste, war doch die einstige, monumentale Freitreppe bereits in den Dreißigerjahren als unpraktisch abgerissen worden. Schwellenangst gibt es beim Umbau durch die renommierte Architekturfirma Polshek Partnership nicht mehr; dafür sorgen allein schon die Veranstaltungen, die sich im Vorbau und dem anschließenden, eindrucksvoll auf die nackten Backsteinmauern bereinigten Foyer des Altbaus abhalten lassen. Die weitläufigen Sammlungssäle halten, was das Entree verspricht; sie wurden gründlich renoviert und bringen die auf ein Universalmuseum angelegten Bestände von den alten Ägyptern bis zur amerikanischen Gegenwartskunst endlich ohne die alte Muffigkeit zur Geltung.

Auch die Sonderausstellungen genügen den anspruchsvollen Maßstäben vollauf, die in der Museumsstadt New York nun einmal gelten. Derzeit werden die Kinderbildnisse des amerikanischen, aber in Florenz geborenen Malers John Singer Sargent (1856-1925) gezeigt – unter dem hübschen Titel „Große Erwartungen. John Singer Sargent malt Kinder“. Sargent zählt zu den Expatriates, denjenigen Amerikanern, die ihr Leben (meist) in Europa verbrachten. Vor allem in Paris ausgebildet, wurde Sargent einer der gesuchtesten Gesellschaftsmaler zunächst in Paris, später in London, wo die Porträtmalerei seit Reynolds und Gainsborough in höchstem Ansehen – und entsprechendem finanziellen Rang – stand.

Wie die ganze akademische geprägte Malerei seiner Zeit war auch diejenige Sargents an den Spaniern geschult, voran Velázquez. Sargent verstand es allerdings, seine Portraits mit jenem Grad an Direktheit und scharfer Beobachtung auszustatten, die sie heute als zeittypisch entlarven, wo die Vorbilder noch auf Überzeitlichkeit zielten. Gleichwohl ist das Oeuvre nicht vergessen, dafür sorgt allein die große Anzahl der in Museen bewahrten Bilder. So auch im Brooklyn Museum, das eine exquisite Sammlung von Aquarellen des Künstlers besitzt, der sich dem Haus stets verbunden zeigte. Die Londoner Tate Gallery und die National Gallery Washington zeigten erst 1998/99 eine umfangreiche Retrospektive, die mit dem monumentalen Kriegs- oder besser Antikriegsbild der „Gasopfer“ von 1918/19 abschloss.

Die Kinderbildnisse machen naturgemäß nur einen Teil der beeindruckenden Produktion Sargents aus. Sie aber einmal losgelöst von den Gesellschaftsporträt zu sehen, erlaubt, die subtilen Zusammenhänge zwischen der akademischen Malweise, in der Sargent geschult war, und dem zeitgleichen Impressionismus zu erkennen, dem sich der Künstler vorsichtig näherte. Gerade das in der Regel höchst private Sujet der Kinder erlaubte ihm eine freiere, spontanere Auffassung. Zugleich sind die Kinderbilder stets wie von einer Ahnung umweht, welche gesellschaftliche Stellung – und welches Schicksal – den Dargestellten künftig bestimmt sein sollte. Übrigens erzielte ein Kinderbildnis Sargents Ende 1996 bei Sotheby’s mit umgerechnet acht Millionen Euro den bis dahin höchsten Preis eines amerikanischen Künstlers überhaupt.

Psychologisches Einfühlungsvermögen wurde stets bei Sargent gerühmt; die Porträtierten liebten es, erkannt, doch nicht bloßgestellt zu werden. Auch den Kindern lässt Sargent nur so viel Kindgemäßes, wie es schicklich ist. Die Kritikerin der „New York Times“ bemerkte denn auch süffisant, das Schöne an der Ausstellung sei, „dass die Kinder keinerlei Krach“ machten. Dezenz und Diskretion waren einmal Ausweis von gesellschaftlichem Rang.

So dient die Ausstellung zugleich als Hinweis auf die Rolle, die das Brooklyn Museum wieder einnehmen möchte. Der Spagat zwischen der Bedienung lokaler Publikumsbedürfnisse und der Idealkonkurrenz mit den Museen in Manhattan ist gewiss nicht einfach. Die Sargent-Ausstellung zielt in die letztere Richtung.

Brooklyn Museum, Eastern Parkway, bis 16. Januar. Vorzüglicher Katalog 35 $.

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