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Kultur: Wenn Mama und Baby Karaoke singen

Der 34-jährige New Yorker Autor und Regisseur Richard Maxwell ist seit „House“ ein Spezialist für abgefeimte Familienaufstellungen. Mit gnadenlosem Blick seziert er die amerikanische Suburbia-Mittelstands-Tristesse.

Der 34-jährige New Yorker Autor und Regisseur Richard Maxwell ist seit „House“ ein Spezialist für abgefeimte Familienaufstellungen. Mit gnadenlosem Blick seziert er die amerikanische Suburbia-Mittelstands-Tristesse. Durch seinen unterkühlten, gänzlich untheatralischen Inszenierungsstil beschwört er ein Klima der emotionalen Repression. Die Charaktere seines neuen Stücks „Drummer Wanted“, das im Hebbel-Theater zu sehen ist, scheinen aus einer Sitcom zu stammen. Frank, ein Amateur-Musiker, ist nach einem Motorradunfall bewegungsunfähig. Mama widmet sich mit Hingabe der Pflege des lädierten Sohnes. Maxwell steckt seinen Ödipus in die Rockerkluft - und rollt ungerührt über Freud hinweg.

In Peter Simpson hat er einen Schauspieler, der das Rocker-Klischee übererfüllt. Er hat den Look, und er hat die Attitüde: markiert den hübschen Lümmel oder den breitbeinigen Macho. Der Revoluzzer - ein notorisches Muttersöhnchen, das von infantilen Ängsten heimgesucht wird. Gleich zu Anfang wird er von einem Albtraum gepeinigt: Mama, warum hast du mich verlassen? Die schwört, ihn niemals allein zu lassen - und singt ihrem kleinen Baby ein Schlaflied. Das Baby wird zum Pflegefall - zieht sich zurück aus allen sozialen Kontakten. Ab und zu setzt er sich ans Schlagzeug, um den zornigen jungen Mann zu markieren - angefeuert von Mutti, die sein einziges Publikum ist.

Aber das Leben mit Mama ist keine Party. Ellen LeCompte spielt die saubere Vorstadthenne, die rigoros das Ego ihres Sohnes päppelt, ihr Baby in der infantilen Abhängigkeit hält. Seine beiden Akteure hat Maxwell in eine holzverkleidete Bühnenschachtel gesteckt, der äußere Bewegungsradius in diesem Heim ist beschränkt, wie auch die inneren Bewegungen reduziert wirken. Er zeigt eine beklemmende Intimität, ein erstickendes Klima, im dem die Aggressionen gedeihen. Doch die mütterliche Fürsorge ist wie eine Glasglocke über die Emotionen gestülpt. Das Singen hat Entlastungsfunktion: Mutter und Sohn greifen abwechselnd zum Mikro, applaudieren einander, jeder Song eine Widmung. Doch Maxwell lässt seine Darsteller so miserabel singen, dass die Gefühlszitate nur verzerrt ihren Adressaten erreichen. Das Mutter-Sohn-Karaoke macht die Isolation der Figuren deutlich. Keine Erlösung durch befreienden Ausdruck, keine Reinigung der Affekte gestattet Richard Maxwell seinen Protagonisten. Sie können nur auf den nächsten Song warten.

Sandra Luzina

Hebbel-Theater, bis 24. Juni, 20 Uhr.

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