zum Hauptinhalt

Kultur: Wenn Menschen wie Billardkugeln über die Bande gespielt werden

Laue Nächte, kühles Bier und Tanz - zwei wunderbare Wochen lang. Die siebten Tanztage im Pfefferberg passten zur guten Stimmung des Jahrhundert-Septembers, und das überwiegend junge Publikum lohnte es mit regelmäßig ausverkauftem Haus.

Laue Nächte, kühles Bier und Tanz - zwei wunderbare Wochen lang. Die siebten Tanztage im Pfefferberg passten zur guten Stimmung des Jahrhundert-Septembers, und das überwiegend junge Publikum lohnte es mit regelmäßig ausverkauftem Haus. Zu sehen war eine breite Auswahl aus der quirligen Szene Berlins vom Tanztheater bis zur Multimedia-Performance. Neben athletischen glänzte das Festival vor allem durch choreographische Highlights.

Zum Beispiel Ludger Orloks Stück "In der Ferne spreche ich Schwingen wie Blumen", dasvon Astrid Fink und Helmut Ott in Ausschnitten getanzt wurde. Da schreitet sie zu Beginn majestätisch, eine unnahbare Königin. Er versteckt sich hinter ihr, ein trauriger Hofnarr, dem ständig die eigenen Extremitäten entgleiten. Nervös wirkt er, immer abgelenkt. Seine Arme zappeln aus ihm heraus, bis das Gesetz einer Bewegung sichtbar wird, das er aufgreift und ausformuliert, zum Herrn seiner Glieder geworden. Vorsichtig übernimmt er die Regie über die passive Herrscherin. Bewegt ihr Knie und setzt die Ferse nach, legt ihre Hand auf seine Schulter und führt sie im Kreis um ihre Achse, biegt sie nach hinten, fängt sie auf - der Zuschauer verfolgt einen magischen Tanz.

Grundlegend anders war der künstlerische Kraftakt "e - a harder prouction": Im Hinterhaus der ehemaligen Pfeffer-Brauerei steht ein durchsichtiger Plastikkäfig, hell erleuchtet, mit Lautsprechern und Kameras bestückt, die alles live auf Monitore und eine Leinwand übertragen. Zwei Tänzerinnen, Lara Barsacq und Sigal Zouk, sind hier eingesperrt. Und rennen gegen ihr Schicksal an. Bewegend, dieses verzweifelte Aufplatschen des Körpers an der Wand, die quergequetschten Hautfalten, das verzerrte Gesicht. Gewalttätig wirft sich die eine gegen die unsichtbare Mauer, während die andere mit ihr wie mit einem Basketball dribbelt. An Poolbillard erinnert das, wie Menschen über mehrere Banden gespielt werden; an fensterlose Squashhallen, an Fouls beim Fußball, das Ringen in einer Gummizelle, an die Intimität eines Gefängnises. "And it was true. I could hardly believe myself", spricht eine der Tänzerinnen ins Mikrophon, ehe das Spiel mit verteilten Rollen von vorn beginnt. Die Performance führt das Verwirrende vor: Es gibt so unglaublich viele "Realitäten". Oft wirkt das Medienbild viel echter als alles Wirkliche, die Kamera ist näher "dran" an den erschöpften Leibern als der Zuschauer in der Arena. Als Schlussbild führt Andreas Harder noch eine Perspektive ein: Mit Rasierschaum malt er purzelnde Silhouetten an die Wände, wie Schnappschüsse, die erstarrten Bewegungen der Tänzerinnen.

Die Tanztage, die seit September 1996 zweimal jährlich stattfinden, widmen sich vor allem jungen Choreographen . Mit 15 Produktionen, davon 10 Uraufführungen, gaben die Tanztage zudem einen Abriss des aktuellen Berliner Tanzgeschehens. Und mit der Qualität und Vielfalt seiner Entdeckungen hat sich das kleine Festival mittlerweile etabliert. Als Insidertip, wo sich die Szene trifft und einer dem anderen erzählt, was er gerade wo mit wem inszeniert, getanzt hat. Als Talentepool, von dem aus neue, junge Kompagnien eine Chance haben, für größere Bühnen entdeckt zu werden. (Die im April gegründete "Wee Dance Compagnie", die im Auftaktmix des Festivals begeisterte, tritt im Oktober zum Beispiel im Theater am Halleschen Ufer auf.) Özlam Zafer gehört zu den Hoffnungsträgern. Die Studentin der Hochschule "Ernst Busch" zeigte stellvertretend, worauf das Potential der jungen Berliner Tanzszene beruht: auf Professionalität, jugendlichem Witz und der Kraft erfindungslustiger Körper. In "ZweiSamt" lösen sich zwei elfenhaft gekleidete Gestalten aus diffusem Licht und wabernder Musik. Voneinander getrennt bilden sie eine Diagonale. Während die eine sich zu winden beginnt wie ein Hund, der seinen Schwanz jagt, gleicht die andere einer Gummipuppe und exerziert sämtliche Grade der Verbiegbarkeit. Beide probieren ihre Körper aus. Doch dem erschreckenden grünen Licht, das plötzlich aus denm Nichts erscheint, stellen sie sich gemeinsam. Einander vertrauend, meistern sie die akrobatischsten Figuren und fallen doch immer wieder in kindische Zänkereien zurück. Die Geschichte von Einheit und Distanz, in Tanz verpackt.

Als Saisonhöhepunkt bewies das Tanzfest, wieviel Energie in der Generation der Zwanzigjährigen steckt. Heute Abend geht das Berliner Festival mit einem internationalen Gastspiel zu Ende.Lydia Wagner (Kanada): "Kinetic Skin" und Diquis Tiquis (Costa Rica): "work in progress".

Heute, 21 Uhr, Theater im Pfefferberg, Schönhauser Allee 176.

Sonja Bonin

Zur Startseite