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Kultur: Wenn Museumswärter tanzen

Tino Sehgal hat eine neue Kunstform erfunden. Sie hat nur noch keinen Namen

Das ist natürlich total verkehrt: in eine Galerie zu gehen und zu fragen, wo sich das Werk von Tino Sehgal befindet. Einen Sehgal kann man nicht einfordern, er muss einem passieren. Die Assistentin im Büro Friedrich macht ihre Sache trotzdem gut. Sie bittet um einen Moment Geduld und sinkt auch schon bühnenreif auf den Fußboden, wo sie – als wär’s ein wunderschönes Gedicht und die normalste Sache der Welt – den Pressetext der Ausstellung „Funky Lessons“ rezitiert.

Ganz überraschend kommt diese merkwürdige Vorstellung nicht, eilt Sehgal doch der Ruf voraus, eine neue, eigene Kunstform entwickelt zu haben, die zwischen Tanz, Theater, Konzeptkunst und Groteske angesiedelt ist. Und doch verblüfft dieses Kunstwerk in seiner Einfachheit, in seiner Konsequenz. War da wirklich was, glaubt man sich im nächsten Moment bereits vergewissern zu müssen und ist schon mittendrin im Diskurs des Tino Sehgal.

Dieser Tage dürfte noch so manch anderer ins Büro Friedrich kommen, unter dem S-Bahnbogen der Jannowitzbrücke, und denselben Fehler begehen. Denn die flüchtigen Kunstwerke des 28-jährigen Wahlberliners sind plötzlich sehr gefragt, seit Julian Heynen, der Kurator des deutschen Pavillons in Venedig, angekündigt hat, dass neben dem vergleichsweise bekannten Maler Thomas Scheibitz der Newcomer Sehgal die Bundesrepublik im Sommer 2005 vertreten soll. Kennern war der „Nobody“ schon länger ein Begriff, seit er vor zwei Jahren im Kölner Museum Ludwig sein Werk „This is Good“ aufführen ließ. Dort überraschte er in einer Schau über „die Performativität in der Kunst“ mit einem vermeintlichen Museumswärter, der aus heiterem Himmel mit Armen zu rudern und mit den Beinen zu kreisen anfing, sobald ein argloser Besucher seinen Saal betrat. Am Schluss dieses Schaustücks wurde artig der Titel des Werks aufgesagt, wie es bei allen Werken Sehgals üblich ist, von denen ansonsten kein Schildchen, kein Hinweis, keine Abbildung existiert.

Sehgal selbst sieht der Einladung nach Venedig mit größter Gelassenheit entgegen. Natürlich habe sie ihn überrascht, erzählt er angenehm unprätentiös bei einem Tee in einem Mitte-Café unweit seiner Wohnung. „Aber wirklich verwundert hat mich schon viel früher, mit welchem Tempo in nur zwei Jahren meine Arbeit innerhalb der Kunstwelt rezipiert worden ist.“ Die Rasanz seiner ausgesprochen kurzen Karriere als Künstler erstaunt in der Tat. Ein Jahr nach Köln gewann der gebürtige Londoner den Kunstpreis der Bremer Böttcherstraße mit dem Werk „This is propaganda“, bei dem eine Aufseherin inmitten der Ausstellung exakt diese Zeile immer wieder singen musste.

Selbst im Trubel einer Messe konnte er sich mit seiner immateriellen Kunst unvergessen machen. So gewann er in diesem Sommer auf der Art Basel den „Prix Balois“ mit „Another – work – of – Tino – Sehgal“. Hier ließ er seine beiden Galeristen Jan Mot und Jörg Johnen in einer leeren Messekoje untergehakt antreten und Wort für Wort abwechselnd einen endlosen Monolog deklamieren, in dem sein Werk dargelegt wird. Zum Abschluss ihres Auftritts mussten sich die beiden eigentlich konkurrierenden Kunsthändler auch noch jedes Mal umarmen. Sehgal hatte damit eine geradezu aberwitzige Metaebene seines eigenen Werks geschaffen. Nicht nur kommentierte er es gleich selbst. Vielmehr ließ er erkennen, dass ihm der Markt und das Verdienen mit Kunst keineswegs zuwider ist, wie einige Kritiker vorschnell vermutet hatten.

Nein, der studierte Wirtschaftswissenschaftler ist hier, wo die Kunst zur Ware wird, in seinem Metier. Ihm geht es in einer Welt, die ständig Ressourcen verbraucht und Güter vernichtet, gerade um den Erhalt materieller Werte, um konkrete Produkte, die er in eine andere Sphäre zu übertragen sucht. Er entreißt sie dem Gesetz der physischen Existenz, um sie im Bewusstsein neu zu verankern. Und an welchem Ort hätte er seine Kritik an ökonomischen Zusammenhängen besser verbildlichen können als in der Kunst, wo der Wert einer Ware ohnehin ein rein spekulativer ist? Für Sehgal ist die Kunstwelt ein gesellschaftliches Modell: „Ich hätte auch in die parlamentarische Politik gehen oder Gesang als Kunstform wählen können“, sagt er. Hauptsache das Ding ist nicht greifbar. So hat er parallel zur Volkswirtschaft an der Berliner Humboldt-Universität Tanz an der berühmten Essener Folkwang- Schule studiert und seine ersten öffentlichen Auftritte auf Tanzfestivals absolviert. Nun aber hat er ein geeigneteres Medium gefunden, die Kunst. Und so fragt er angesichts einer allgemeinen Ressourcenknappheit nicht nach dem Wie, sondern danach, was verteilt wird. Sein Angebot lautet: das intelligente Nichts, die scharfsinnige Leere.

Darin ist er allerdings nicht der Erste. Auf Yves Klein angesprochen, zuckt Sehgal mit den Schultern, nennt lieber den amerikanischen Bildhauer Jeff Koons und den französischen Streifenkünstler Daniel Buren als Bezugsgrößen für sein Schaffen. Wie bei diesen beiden Künstlern ist auch sein Werk alles andere als esoterisch, so flüchtig es in seiner Erscheinung auch sein mag. Als Sohn eines Managers, mit dem die Familie immer wieder umziehen musste, sind ihm am nachhaltigsten jene Jahre in Böblingen- Sindelfingen in Erinnerung geblieben, wo die Karossen von Daimler-Benz hergestellt wurden. „Für mich ist Produktion keine abstrakte Kategorie“, sagt er. Trotzdem lässt sich seine Kunst nicht zurück in die Welt des Konkreten übertragen. Die Handlungsanweisungen, die er für seine Akteure entwickelt, funktionieren nur innerhalb der Kunstwelt selbst. Er braucht den musealen Schutzraum für seine inszenierten Verweigerungsgesten, die gerade wegen ihrer absurden Rhetorik in der Kunstwelt so geliebt werden. Es wird spannend, wie er sich in Venedig aus der Affäre zieht.

„Funky Lessons“: Büro Friedrich (Holzmarktstr. 15-18, Mitte), bis 13. November, Di–Sa 12–18 Uhr

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