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Kultur: Wenn nicht Paris, dann eben Kino

Auf nach Trulala: Wladimir Kaminer schreibt Reisegeschichten und kommt nicht vom Fleck

Von Peter Köhler

Sind wir nicht alle ein bisschen trulala? Volkspoesie und Kindervers strotzen vor lustvollen Unsinnswörtern und Reimen. Ob es im Trinklied heißt: „Dem Spender sei ein Trulala“, oder im Puppenspiel: „Trulala, trulala, Kasperle ist wieder da“ – die Scheinvokabel füllt eine Leerstelle im Text. Sie ist ein Platzhalter für die eigene Phantasie. Trulala, wie es der Buchtitel verspricht, sind denn auch die Reisen, von denen Wladimir Kaminer erzählt.

Der 1967 in Moskau geborene und seit 1990 in Berlin lebende Russe mit dem freundlich-ironischen Blick auf den multikulturellen Alltag in der Hauptstadt schildert Sehnsuchtsfahrten nach Paris und in die USA, eine Bildungsreise auf die Krim, einen Hippietrip nach Dänemark und eine Radfahrt nach Sibirien: Reisen, die (siehe Leerstelle) der Autor dann doch unterlässt bzw. die (siehe Platzhalter) an seiner Statt russische oder deutsche Freunde auf sich genommen haben. Kaminers Reisegeschichten sind vielmehr Erzählungen des eigenen Scheiterns: „Statt nach Paris zu fahren, gingen wir ins Kino.“ Die Träume nämlich, die sich beispielsweise an die verklärte Stadt an der Seine oder ans vergötzte Amerika knüpfen, erweisen sich bereits bei näherem Hinhören auf die skurrilen, banalen, enttäuschenden, eben typischen Erlebnisse von Bekannten und Verwandten als Schäume.

Nur Dänemark bereist Kaminer höchstselbst, doch auch dieser Urlaub fällt anders aus als erwartet, führt er doch just in Kopenhagens Hippieviertel, die Freistadt Christiana: „Im Nachhinein bezweifelte ich selbst, ob wir in Dänemark gewesen waren. Vielleicht hatten wir aus Versehen die falsche Insel erwischt, eine, die von lauter Verrückten bewohnt war. Immerhin war der des Landes nirgends angeschrieben gewesen.“ Alle Erwartungen erfüllt wurden dagegen seinem Onkel Boris, der zur Sowjetzeit mit einer Reise in die französische Hauptstadt belohnt wurde und doch nur, so fabuliert Kaminer, ein täuschend echtes, in der südrussischen Steppe nachgebautes Potemkinsches Paris besuchte. Die Frage nach der Wahrheit steht bei solchen Reisen bzw. Geschichten natürlich ständig im Hintergrund, die Antwort aber wird zweitrangig. Vielmehr ist oder scheint das Echte und Wahre gerade der Cocktail aus Klischee, Realität und Phantasie zu sein: Hauptsache, er schmeckt. Letztlich ist das ganze Problem eben Trulala.

So in etwa heißt das Dorf auf der Krim, in dem der von sowjetischer Flak im Zweiten Weltkrieg abgeschossene Joseph Beuys von Tataren gesund gepflegt worden sein soll: „Torlala oder Turlala“ nämlich, wo „deutschsprachige Tataren“ leben, die, so berichtet ein enthusiasmierter Kunststudent dem Autor, „unglaublich authentisch“ sind und massenweise Beuys-Reliquien verkaufen. Der Kunststudent durchschaut den Schwindel – und lässt sich doch von seiner Beuysbegeisterung davontragen. Dass in der multikulturellen Moderne die starren Vorstellungen von, um die beiden Modevokabeln zu strapazieren, „Authentizität“ und „Identität“ aufgeweicht werden, das lieferte Kaminer, der Russland bereits als Botschafter der deutschen Sprache und Kultur bereiste, schon immer komischen Stoff für seine Geschichten.

Motive aus dem kunterbunten Vielvölkeralltag, wo Jugoslawen sich als Italiener ausgeben und Taiwanesen japanische Bilder malen, trägt er auch diesmal reichlich zusammen. Ob Berlin, Paris oder Kopenhagen, die globale Provinz ähnelt sich überall. Auch viele Erfahrungen, die man in der Fremde macht, gleichen sich inzwischen. So kurios viele von Kaminers Erlebnissen sind – oft klingen sie wie Urlaubsanekdoten. Dass ausländische Ortsnamen eine vulgäre Bedeutung haben können – der See „Tepli Saki“ hieße auf Deutsch „warme Pisse“ –, dass abgebrannte junge Touristen auf die Idee kommen, in einem Brunnen nach Münzen zu tauchen, oder dass ein Chinese den Touristen für teuer Geld nicht ihren Namen in chinesischen Hieroglyphen aufmalt, sondern in Wahrheit „Oh, du Arsch!“ hinpinselt, all das ist zwar witzig, aber Ähnliches hat wohl jeder schon gehört oder erlebt. Dass also bei allem Sinn für trockenen Humor und allem Gespür für komische Geschichten ein Hauch Banalität über diesen Reiseberichten schwebt, muss nicht an Kaminer liegen, sondern an der gleichförmiger werdenden Welt von Multikultur und Massentourismus. Wir glauben originell zu sein, und sind doch alle nur ein bisschen trulala.

Wladimir Kaminer: Die Reise nach Trulala. Verlag Manhattan, München 2002. 188 Seiten, 17,90 €.

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