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Bergeinsamkeit. Das Gemälde "Sonnenuntergang am Mont Blanc" schuf Wenzel Hablik 1906, noch vom Jugendstil beeinflusst.

© Wenzel-Hablik-Stiftung, Itzehoe

Wenzel Hablik im Martin-Gropius-Bau: Das Paradies ist machbar

Wiederentdeckt: Der Berliner Martin-Gropius-Bau feiert den Maler, Designer und Utopisten Wenzel Hablik.

Zukunft braucht Zuversicht. Nur wer sich das Unvorstellbare vorstellen kann, wird es irgendwann verwirklichen können. „Technische Dinge sind niemals unmöglich, sofern sie auf Naturgesetzen aufgebaut sind“, hat Wenzel Hablik 1914 am Rand einer Zeichnung notiert. „Auch Naturgesetze waren einstmals Utopien.“ Das einige Jahre zuvor entstandene Blatt zeigt ein „Luftgebäude“, eine Art kopfüber aufgehängten Zeppelin, der von einer gigantischen rotierenden Trommel getragen wird.

Hablik, der im Berliner Martin-Gropius-Bau 80 Jahre nach seinem Tod mit einer ersten großen Retrospektive gefeiert wird, war Maler, Grafiker, Designer, vor allem aber: Visionär. Die Zukunft der Menschheit, davon war er überzeugt, würde im Weltall liegen. Deshalb entwarf er „Kristallbauten“, in denen er Symbole sah für „die Idee eines gemeinsamen Strebens zugunsten eines Weltwerks“. Deshalb malte er großformatige, tiefblau grundierte „Sternenhimmel“-Gemälde, die mit gelben, roten, brauen Planeten überzogen sind. Deshalb zeichnete er immer wieder Flugmaschinen, Zeppeline und fliegende Untertassen.

Wenzel Hablik, der 1881 in der westböhmischen Stadt Brüx geboren wurde, liest schon als Kind die Science- Fiction-Romane von Jules Verne und H.G. Wells. Später begeistert er sich für den Schriftsteller Paul Scheerbart und dessen Aufsätze über fantastische Glasarchitekturen. Hablik plant sogar den Aufbau einer „menschlichen Superrasse durch die Vermischung der zum Mars reisenden Kolonisatoren“. Den Praxistest bestehen seine Entwürfe jedoch nicht. Schon der Versuch, das Modell eines Luftschiffes am Kahlenberg bei Wien aufsteigen zu lassen, scheitert kläglich.

Hablik bewundert die Formenvielfalt der Natur

Die Ausstellung beginnt mit einer Eichenvitrine, in der der Künstler Kristalle, Muscheln und Steine zusammentrug. Hablik bewunderte die Formenvielfalt der Natur, seine Kunst sollte ihr Abbild sein. Nach einer Besteigung des Mont Blanc malt er einen „Sonnenaufgang“, auf großformatigen Leinwänden hält er in schnell hingeworfenen, pastosen Strichen „Meereswogen“, ein „Gewitter an der Stör“, hoch aufschießendes „Feuer“ oder einen „Sturm auf der Elbe“ fest.

Seit er 1907 den Itzehoer Holzhändler Richard Biel kennengelernt und sich auf dessen Einladung in der norddeutschen Kleinstadt niedergelassen hat, lebt Wenzel Hablik zurückgezogen in der Provinz. Aber er unternimmt ausgedehnte Reisen bis nach Konstantinopel und steht im Kontakt mit der expressionistischen Avantgarde. Zum Durchbruch verhilft ihm der Radierzyklus „Schaffende Hände“, den Hablik in Berlin drucken lässt.

Einige Blätter kann er 1908 in der XVI. Ausstellung der Berliner Secession zeigen, den vollständigen Zyklus präsentiert Herwarth Walden 1912 in seiner Galerie „Der Sturm“. Zu sehen sind, noch deutlich vom Jugendstil beeinflusst, Kristallbauten, die sich auf Bergspitzen oder in Wolken erheben, Wald- und Gebirgseinsamkeiten, majestätische Adler. Ergänzt werden die Bilder von Sinnsprüchen, die in ihrer Lakonie an die Aphorismen von Nietzsche erinnern: „Ich war, ich bin, aber ich werde nie wieder sein.“

Erfolge feiert der Maler nur als Designer und Innengestalter

Mit seinen Radierungen hat Hablik das Programm für eine künftige, bessere Welt umrissen. Der Architekt Bruno Taut lässt sich von einer riesigen, im Himmel schwebenden Halbkuppel aus der Bilderfolge zum Bau eines Glashauses für die Kölner Werkbund-Ausstellung 1913 inspirieren. Paul Scheerbart liefert optimistische Parolen dazu: „Das bunte Glas zerstört den Hass.“ Hablik hofft auf einen „Aufbruch bei lebendigem Leibe ins Paradies“, wie ihn der Publizist Kurt Hiller ankündigt. 1919 wird Hablik von Taut eingeladen, sich mit elf weiteren Architekten und Malern zusammenzuschließen und am Aufbau einer neuen Gesellschaft zu beteiligen. Hablik entwickelt sich zum produktivsten Mitglied der „Gläsernen Kette“ und ist noch ein Jahr später, als die Gruppe auseinanderbricht, voller Enthusiasmus: „Kinder! Was für herrliches Zeug hat unsere Erde noch an Stoff für unsere Bauspiele! Denkt nur: Fels haben wir! Metalle und Diamante!“

Von Habliks Wolkenkuckucksheimen ist kein einziges verwirklicht worden. Erfolge feiert der Maler nur als Designer und Innengestalter. Zusammen mit seiner Ehefrau, der Weberin Elisabeth Lindemann, richtet Hablik den Salon eines Gymnasialprofessors in Itzehoe ein und gestaltet die Villa seines Mäzens Richard Biel um. Es folgen der Gastraum eines Hotels, dessen Pfeiler und Polster mit gezackten Farbbändern überzogen sind, und weitere Wohnräume. Ihre eigene Villa verwandeln Hablik und seine Frau in ein knallbuntes Gesamtkunstwerk.

Der Besucher scheint in ein abstraktes Gemälde einzutreten

Im Lauf der zwanziger Jahre lässt die Radikalität nach, statt der Impulsivität des Expressionismus werden nun die Prinzipien der Neuen Sachlichkeit zum Maßstab. „Er will und kann nicht als Expressionist gelten“, heißt es schon 1921 in einem Zeitungsbericht. „Dem unkontrollierbaren Farbenschwulst des Expressionismus steht bei Hablik ein Farbenkomponieren gegenüber, das genau nach rhythmischen Gesetzen arbeitet.“ Für die Ausstellung ist das Meisterwerk des Künstlers nachgebaut worden, sein fast 40 Quadratmeter großes Esszimmer. Rote, gelbe, blaue, grüne, schwarze Farbbänder bedecken sämtliche Wand- und Deckenflächen. Der Besucher scheint in ein abstraktes Gemälde einzutreten. Unübersehbar sind die Einflüsse der holländischen De-Stijl-Bewegung und des sowjetischen Konstruktivismus.

Wenzel Hablik – das zeigt die beeindruckende Retrospektive – entwarf Tapeten, Möbel, Stoffe, Bestecke, Zierteller, Ringe, Tierfiguren, sogar Notgeldscheine. Als Universalkünstler fühlte er sich für alles zuständig, ihm ging es darum, buchstäblich die ganze Welt zu verändern. Ein Jahr, bevor Hablik 1934 mit 52 Jahren in seinem Haus in Itzehoe stirbt, lässt er die Farbbänder seines Esszimmers überstreichen. Den Nationalsozialisten, das wusste er, kam so viel Buntheit verdächtig vor.

Martin-Gropius-Bau, bis 14. Januar. Mi–Mo 10–19 Uhr. Katalog (Prestel) 25 €.

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