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Kultur: Wer den Wal hat, hat die Qual

Amélie Niermeyer und Klaus Buhlert wagen in Freiburg die Dramatisierung von Melvilles „Moby Dick“

Wie kommt ein unvergleichlicher, urtief im Herzen der eigenen Finsternis lodernder Irrsinn eines Menschen auf die Bühne, seine Rachsucht, die über Jahrzehnte nichts als nur einem riesigen „stummen Tier“ gilt? Zumal die Jagd jenes Besessenen durch ozeanische Räume treibt: in „das Herz der Erde, das in Gezeiten pocht“? Wie also kommen solche Weiten und Abgründe eines Wahns, wie geraten der weiße Mörderwal und der schwarzgallige Kapitän Ahab aus Herman Melvilles durch Meere und Mythen mäanderndem Roman „Moby Dick“ in ein normales Stadttheater?

Indem das Stadttheater selbst einmal aus der Normalität ausbricht und für diese Anstrengung alle seine sonst in Sparten oder Spezialitäten geteilten Kräfte vereint. Und dazu von außen noch finanzielle und künstlerische Helfershelfer findet. Das war der Ausgangspunkt, von dem die Freiburger Schauspiel- und Opernintendantin Amélie Niermeyer ihre gewagte Seereise auf dem badischen Ländle angetreten hat. Ziemlich tollkühn.

Aber weil sie so eine Unerschrockene ist, eine zarte Kraftvolle, deshalb lieben sie alle in Freiburg „die Amélie“, die ihrem Theater seit 2002 so viel örtliche und überregionale Aufmerksamkeit erkämpft hat – auch gegen kleinwütige, kleinmütige Sparkommissare; sie lieben die 38-jährige Regisseurin und Chefin, obwohl sie in zwei Jahren bereits als Generalintendantin nach Düsseldorf wechseln will. Allerdings kam sie durchaus von den großen Häusern, hatte längst in München, Frankfurt und auch Berlin gearbeitet, bevor sie ins schöne Südbaden ging (wo sich einstmals auch das gefährdete Großstadttalent Andrea Breth regeniert hatte). Die Theatralisierung von „Moby Dick“ sollte nun jedenfalls das Exempel sein für den Niermeyerschen Aufbruchwillen, in Freiburg und über Freiburg hinaus.

Das Theater selbst spricht in einem eigens angefertigten Presseheft von einer der „größten und aufwändigesten Produktionen“ seiner Geschichte. Neben dem Schauspielensemble ist der Opernchor beteiligt, das Publikum sitzt auf der rotierenden Drehühne, die, wie bei Frank Castorfs „Idiot“ an der Berliner Volksbühne, den Blick in wechselnde Schauplätze öffnet, der Berliner Komponist und Hörspielautor Klaus Buhlert wurde für die Bühnenfassung, die Musik und die Koregie engagiert, außerdem gibt es einen Videoregisseur, und für das Ahab-Erlebnis hat Niermeyer den früheren Schaubühnenspieler und bekannten Film- und Fernsehbösewicht Dieter Laser geholt. Zu diesem Freiburger Freibeuterprojekt steuerte die Kulturstiftung der Deutschen Bank dann nebst anderen Sponsoren auch noch 40000 Euro bei. Also war man gespannt.

Zu Beginn jedoch ergreift einen erstmal Beklemmung und – die Weiten des Melvilleschen Epos im Kopf – ein Gefühl der Beengtheit. Weil wegen der Schließung eines autonomen Kulturzentrums ein Protestkonzert vor dem Freiburger Theater angesagt ist, gelangt man in das Große Haus nur unter Polizeischutz durch einen Seiteneingang, und auf der von Kerzen gesäumten Bühne stauen sich zwischen dem geschlossenen Eisernen Vorhang und den Brandmauern Hitze und Atemnot. Zudem wird der Raum schier erdrückt von zwei Seesturm-Gemälden in monströsen Goldrahmen – sonst deutet noch nichts auf Aus- und Aufbruch, auf eine Reise in fernere, fremdere Welten hin.

Es ist dann bloß eine dünne Schiffsglocke, die einläutet, was mit einer weihnachtlichen Messe und einer gewaltigen, alttestamentarischen Predigt im amerikanischen Hafen der Walfahrer beginnen soll. Keine Orgel braust, kein Seewind pfeift, und als erst nach zwei Stunden mal ein paar Möwen schreien, da fragt man sich doch, was all der Aufwand mit Komponist, Musik und Ton und Mikroports hier eigentlich bringt.

Amélie Niermeyers teure, großgewagte Inszenierung wirkt überraschend schmal und sehr puritanisch. Ein Dutzend meist junge, wohlrasierte, in kleinbürgerliche Jahrhundertwendanzüge (mit Schlips) gesteckte Akteure geben den Anschein, nicht Zöglinge aus Wedekinds „Frühlings Erwachen“ zu sein, sondern wetterharte, schicksalsrauhe Seemänner: Töter und Schlächter auf der Jagd nach dem flüssigen Gold des Wals, nach jenem Tran, der vor der Erfindung des Petroleums, vor Erdöl und Elektrizität der frühindustriellen Welt Licht und Energie verhieß. Weil es aber zur Entwicklung irgendeines Typus oder gar Charakters in dieser Theater-Nachstellung eines epischen Romans nicht kommt, bleibt fast alles Zitat, Deklamation, Rezitation: frontal zum Zuschauer, aufgesagt, ohne dramatische Interaktion.

Niemand, der Melvilles 1851 erschienenes Buch nicht kennt, versteht dabei die Freundschaft des Erzählers Ismael (Felix Klare) mit dem spökenkiekerischen, schamanenhaften Südseemenschen und Walharpunier Queequeg (Alexander Gammitzer); und selbst die Todfeindschaft zwischen dem (auch in kärglichen Videoprojektionen unsichtbaren) weißen Wal und Kapitän Ahab bleibt ein blasses Phantom. Dieter Laser hat ein paar suggestive Momente durch seinen fanatischen Blick, doch die Dämonie der Figur verflüchtigt sich im manierierten Gefuchtel und Gebuckel eines Stummfilm-Nosferatu; dazu auch hier ein doppelt ungünstiges Kostüm: Die Prothese für Ahabs von Moby Dick entrissenes Bein ist kein knöcherner harter Stumpf, sondern ein grünlicher, lautloser Gummistiefel – weshalb das gespenstische „Tock-tock“ seiner Schritte hier wiederum nur ein Text-Zitat bleibt. Und warum Laser den zweiten Teil des dreistündigen Abends als einziger mit nacktem, ausgemergeltem Oberkörper spielt, während die Besatzung selbst im Schiffbruch und Wal-Kampf noch in ihren Straßenanzügen steckt: ein Rätsel.

Ein paar Mal öffnen sich die Seitenbühne und der Zuschauerraum des leeren großen Rangtheaters; aber auch da gewinnt die von Schreibmaschinengeklapper untermalte Rezitation kaum Dramatik, Weite, Weltraum. Es ist, als hätte es all die urtheatralischen Einfälle, mit etwas Licht, Musik, ein paar Tüchern, Marionetten oder menschlichen Gebärden in Shakespeares „Sturm“ oder bei Ibsens „Peer Gynt“ ein großes Seeabenteuer darzustellen, nie gegeben. Kein Soundtrack hilft hier, kein Bühnenbildzauber, kein (schrecklich dünner) Opernchor; es herrscht eine kaum begreifliche Lähmung – gerade als das Theater, als dieses Theater im Kielwasser des göttlichen, leviathanischen Meerestiers einmal hinaus will. In den Mythos, der aller Moderne und Gegenwart noch den Subtext schreibt. Der Vernunft und Aufklärung beschwört, indem er ihre Grenzen überschreitet.

Das alles erfährt, wer „Moby Dick“ liest. Oder Klaus Buhlerts wunderbarer, zehnstündiger CD-Fassung im Hörbuchverlag folgt (mit Rufus Beck, Manfred Zapatka, Thomas Holtzmann, Ulrich Matthes und Buhlerts stimmungsvollen Kompositionen). Im Theater aber war Buhlerts und Amélie Niermeyers Bühne zu klein. Kleiner als jeder eigene Kopf.

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