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Kultur: Wer denkt an Weill und Krenek, Salieri und Scarlatti? Im Bach-Jahr gäbe es noch einige andere Komponisten zu feiern - und zu entdecken

Das Gesamtwerk auf 153 CDs, alle Kantaten in sechzig Kirchen all over Europe - mit Mammutprojekten feiern Schallplattenindustrie und Konzertveranstalter in diesem Jahr einen Komponisten, dessen Werke ohnehin zum Kernbestand des Repertoires gehören - und vergessen dabei jene Kollegen Bachs, die 2000 ebenfalls ein Jubliäum feiern könnten. Zum Beispiel Giovanni Pierluigi da Palestrina, ohne den Bach nicht denkbar ist.

Das Gesamtwerk auf 153 CDs, alle Kantaten in sechzig Kirchen all over Europe - mit Mammutprojekten feiern Schallplattenindustrie und Konzertveranstalter in diesem Jahr einen Komponisten, dessen Werke ohnehin zum Kernbestand des Repertoires gehören - und vergessen dabei jene Kollegen Bachs, die 2000 ebenfalls ein Jubliäum feiern könnten. Zum Beispiel Giovanni Pierluigi da Palestrina, ohne den Bach nicht denkbar ist. Vor 475 Jahren wurde der Komponist geboren, der mit seiner Missa Papae Marcelli die Polyphonie vor der ideologischen Verbannung aus den Gotteshäusern rettete. In diesem Werk nämlich bewies er, dass sich der Kompositionsstil der kunstvollen Mehrstimmigkeit durchaus mit der Forderung des Trienter Konzils vereinen ließ, Kirchenmusik müsse - um ihre Aufgabe zu erfüllen - vor allem textverständlich sein. Trotzdem dürfte 2000 kaum eine seiner über 100 Messen und an die 400 Motetten zu hören sein.

Ebenfalls zu Katalysatoren der Musikgeschichte wurden Giulio Caccini, der vor 450 Jahren geboren wurde, und der 25 Jahre jüngere Marco da Gagliano. Beide zählen zu den Erfindern der Oper: Eigentlich hatten sich die Florentiner die Wiederbelebung der griechischen Tragödie auf die Fahnen geschrieben - doch Caccinis "Euridice" von 1600 und Gaglianos "Dafne" von 1607 lösten soviel Begeisterung aus, dass sich die neue Kompositionsart, bei der eine Singstimme gegenüber der Begleitung dominiert, bald zu dem entwickelte, was heute Oper genannt wird.

Einer der produktivsten Komponisten, der sich dieser Gattung verschrieb, starb vor 275 Jahren: Alessandro Scarlatti. In seinen Werken entwickelte er die Form der Da-Capo-Arie zu voller Blüte: Sie eröffnete den Solisten die Möglichkeit, ihre ganze Virtuosität zu zeigen, da sie die Wiederholung des ersten Teils nach Belieben verzieren durften. Welche Begeisterung das beim Publikum auslöste, hat zuletzt der "Farinelli"-Film zu zeigen versucht. In seinem Jubiläumsjahr nimmt sich immerhin die Berliner Staatsoper Scarlattis an: Unter der Leitung von René Jacobs wird seine Oper "Griselda" am 30. Januar herauskommen.

Im Todesjahr Johann Sebastian Bachs, also 1750, erblickte Antonio Salieri das Licht der Welt - nicht erst seit dem "Amadeus"-Film wohl der meistgehasste Komponist aller Zeiten. Obwohl es nie bewiesen wurde, dass der Wiener Hofkomponist tatsächlich Mozarts Leben auf dem Gewissen hat, fielen mit seiner Person auch seine Werke in Ungnade. Dabei ist der Einfluss, den Salieri auf die nachfolgenden Generationen bis hin zu Beethoven ausübte, nicht von der Hand zu weisen. Auf die Wiederaufführung seiner Opern wie "Tartare", "Annibale in Capua" oder "Die Neger" wird man wohl auch zu seinem 250. Geburtstag vergeblich hoffen.

Genug zu tun gäbe es 2000 auch für zwei Komponisten, denen das Schicksal widerfahren ist, von der Nachwelt vor allem wegen eines einzigen Stücks geliebt zu werden: Mehr noch als für den 1875 gestorbenen Georges Bizet (wer würde es wagen, statt "Carmen" mal seinen "Ivan, den Schrecklichen", "Don Procodio" oder "Djamileh" zu spielen?) gilt dies für Maurice Ravel: Denn der "Bolero" des 1875 Geborenen war nicht mehr als eine Instrumentations-Fingerübung. Die wahren Reichtümer dieses faszinierenden Oeuvres kennen bis heute nur Fans und Fachleute.

Ein wenig Gerechtigkeit wird im Jahr 2000 hoffentlich Kurt Weill widerfahren, der gleich ein Doppeldatum zu verzeichnen hat: 1900 geboren, 1950 gestorben, hat er - im Strudel der politischen Zeitläufe - ein enorm vielfältiges Werk hinterlassen, das vom proletarischen Songspiel aus den Berliner Jahren bis zu pompösen Broadway-Spektakeln nach seiner Flucht vor den Nazis reicht. Im Bereich der musical comedy wurde er dabei zum Erben eines anderen, vor 100 Jahren gestorbenen Großmeisters des Genres: Arthur Sullivan, der im britischen Empire die Rolle erfüllte, die Offenbach zuvor bereits in Frankreich vorgelebt hatte.

Und dann wäre da noch Ernst Krenek, ebenfalls Jahrgang 1900, ebenfalls Emigrant: Der Wiener hat in seinem Schaffen die gesamte Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts durchmessen, sich von der Neoromantik bis zur Zwölftontechnik mit fast jeder ästhetischen Strömung auseinandergesetzt. Trotzdem kennt man aus seinem 240 Titel umfassenden Werkkatalog allzu wenig. Doch bis Krenek zu neuen Ehren kommt, wird wohl noch viel Wasser den Bach herunterfließen.

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