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Kultur: Wer ist Annlee? - In der Berliner Galerie Schipper und Krome

"My Name ist Annlee! Annlee!

"My Name ist Annlee! Annlee! You can spell it however you want!" So stellt sich Annlee vor. Das Comic-Mädchen ist eine Computeranimation in Philippe Parreno jüngstem Video. Philippe Perreno, 1964 in Algerien geboren, gehört zu den derzeit angesagten jungen Künstlern, die sich mit dem Bermudadreieck aus Kunst, Leben und Fiktion beschäftigen, man könnte auch sagen, die es bewohnen.

Wer mit Film und Fernsehen sozialisiert wurde, dem liegt die Befragung des Fiktiven im Hinblick auf seine Wirkungsmächtigkeit für das Leben offenbar besonders nahe. Inzwischen nämlich ist das Reale so gut wie unmöglich geworden; es bleiben Simulation und Fiktion. An beiden versucht sich die aktuelle Kunst längst nicht mehr mit Hilfe der Hermeneutik, sondern mit den Mitteln der Dekonstruktion: "You can spell it however you want!" Annlees Identität hätte Wirklichkeit und Authentizität zur Voraussetzung: Aber was ist an einem künstlichen Charakter schon wirklich? Annlee ist Prototyp für eine Existenzform, die weniger real als imaginär funktioniert. Annlee besitzt ein Image, sie ist Image, weiter nichts. Ihre einzige feste Grösse besteht im Marktwert. "I was bought for 46 000 Yen", offenbart Annlee im Video. Annlee war einmal eine Manga-Figur. Manga, das sind die in Japan täglich von Millionen konsumierten Comics für Erwachsene. Manga ist aber auch ein ganzer Industriezweig für Animationsfilme und Comicbücher. Annlee wurde von einer Agentur entworfen, die diesen Markt mit "Charakteren" beliefern. Und wie diese Charaktere funktionieren, erfahren wir in der Galerie: "Die Figuren werden vom Herausgeber Situationen ausgesetzt, in denen sie sich beweisen und zeigen können, ob sie für die jeweilige Geschichte geeignet sind. Die Eignung und ganz "persönliche" Anpassung der Figuren ermöglicht neue Geschichten. Die Figuren altern innerhalb dieser Logik". Annlee wurde quasi als Wegwerffigur erfunden. Mehr als eine Manga-Geschichte hätte sie wohl kaum überlebt. Ihr Charakter ist zu begrenzt. An der leicht gepresste Stimme von Annlee im Video ahnt man so etwas wie unterdrückte Verletzlichkeit über das ihr zugedachte Schicksal. Aber Parreno hat sie vor dem ihr vorbestimmte Verschwinden bewahrt und zum Kunstprodukt erklärt. Nicht aber ohne das ursprüngliche Kindchenschema von Annlee in ein pupillenloses Aliengesicht zu verwandeln und ihr eine Stimme zu geben, auch wenn diese Stimme nur von einer gewissen Daniela geliehen ist. Daniela ist ein Modell ein "image, just like me", wie Annlee erklärt. Während Daniela Mode verkauft, ist Annlee selbst das Produkt, für das sie wirbt.

Parrenos Video bietet eine erschöpfende Selbstreflexion Annlees. Mit den von Parreno geschriebenen Sätzen und der von Daniela gesprochenen Stimme aus diesem Körper, den eine japanische Firma erfundenen und eine französische redesignt hat, wäre eigentlich schon alles gesagt.

Authentizität und Echtheit

Muss man etwas hinzufügen? Muss man erklären, das Annlee nicht nur das Modell für die Charaktere auf dem Feld der Kunst ist, sondern daß sie darüber hinaus der Prototyp für jede Art von Charakter innerhalb der hochentwickelten, kapitalistisch-postmodernen Gesellschaft ist? Jeder wird zum künstlichen Charakter, sobald er den Markt betritt, um eine - früher hätte man gesagt -"entfremdete" Rolle auszufüllen. Denn wo ist derzeit noch Authentizität und Echtheit möglich? Nicht einmal mehr in der Kunst. Denn durch die reproduktive Vereinahmung des Originals durch die Medien wird auch das Echte zur Fiktion. Die Folge: Auch das Echte füllt sich mit Imaginärem. Ob Mona Lisa oder Annlee, im Netz der Medien zirkulieren Images, Zeichenträger für Informationen und Imaginationen. Und da alles, was heute Relevanz behaupten will, massenhaft, das heißt medial, rezipiert oder konsumiert wird, ist jede Art von Authentizität immer schon Simulation. Die Bilder, die heute wichtiger sind, als die Menschen, die sie einst vertreten haben, haben ihre reale Referenz verloren. Ob als Manga oder als Modell, im Medienraum sind diese Charaktere nur verschiedene Grade der technischen Auflösung. Und so ist es nicht das Computerbild von Annlee, sondern die hochauflösende Reproduktion ihrer Stimme, die die Simulation ihres Charakters ein wenig vergessen macht. Gegen alle Vernunft verschafft die Stimme der Figur einen Schein von Präsenz. Aber vielleicht ist diese Wahrnehmung doch nur Ausdruck eines unbezwingbaren Verlangens, auch in der Simulation noch Resten des Menschlichen zu begegnen.Galerie Schipper und Krome, Auguststraße 91, bis 27. Mai; Dienstag bis Sonnabend 11-18 Uhr.

Ronald Berg

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