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Kultur: Wer liest sowas?

Wer liest eigentlich Politiker-Bücher? Wir reden nicht von ehemaligen Politikern.

Von Robert Birnbaum

Wer liest eigentlich Politiker-Bücher? Wir reden nicht von ehemaligen Politikern. Über diese Spezies hat Helmut Kohl, damals noch nicht Ex, beim Erscheinen von Maggie Thatchers Memoiren alles Nötige gesagt: "Entweder man schreibt die Wahrheit. Dann macht man sich nur einen Haufen Feinde. Oder man schreibt nicht die Wahrheit. Aber warum soll das jemand lesen?" Also, nicht davon soll die Rede sein. Sondern vom normalen Politiker, der 158 Seiten auf kartoniertem Papier verfasst und zum Kauf feil bietet, in Karton und preisgebunden zu 48,80 Mark. Wer soll das lesen? Menschen, die von Berufs wegen zur Lektüre verurteilt sind, beschränken sich auf Einleitung und letztes Kapitel. Da stehen immer die "Stellen" gegen die Parteifreunde. Privatmenschen stellen Politikerbücher in den Schrank, nachdem sie sie auf dem Wühltisch billig erstanden haben. Und doch gibt es einen Moment, in dem Politiker glauben dürfen, dass jemand ihr Buch lesen wird. Das ist, wenn es vorgestellt wird. Dazu lädt der Verlag ein, sorgt für Drinks und ein paar Häppchen sowie ein Gratis-Exemplar für jeden Gast. So kommen viele Gäste. Der Verfasser strahlt und fühlt sich wichtig. Allerdings hat das Strahlen seit kurzem nachgelassen. Den Berliner Buchvorstellungen fehlt etwas. Die Alten sind nicht dabei. Am Rhein waren sie zuverlässig da: Die Ex-Politiker, die Ex-Journalisten, all die Grauköpfe, die in unseren Kindertagen die Helden der "Tagesschau" waren. Die blätterten in ihren Freiexemplaren und wirkten immer so, als hätten sie viel Zeit zum Lesen. Sie sind in Bonn geblieben auf ihre alten Tage. Und wer liest jetzt Politiker-Bücher?

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