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Kultur: Wer nickt diesmal?

György Konrád ist schnell zu einer der maßgeblichen Stimmen der Stadt geworden.Sein Beitrag zur Mahnmal-Debatte spitzt die Diskussion zuVON MORITZ MÜLLER-WIRTHAls György Konrád vor einigen Wochen vor dem Kulturausschuß des Berliner Abgeordnetenhauses gebeten wurde, seine Meinung zur inhaltlichen Konzeption des Jüdische Museums zu erläutern, erhob er sich von seinem Stuhl in der letzten Reihe des Auditoriums, begab sich gemächlichen Schrittes an das bereitgestellte Mikrophon und erklärte - nach einigen Ausführungen zur Sache -, was nur scheinbar an der Fragestellung der Volksvertreter vorbeizielte: Berlin brauche kein Holocaust-Mahnmal, Berlin habe bereits eines: den Bau Daniel Libeskinds, in dem das Jüdische Museum untergebracht werden soll.

György Konrád ist schnell zu einer der maßgeblichen Stimmen der Stadt geworden.Sein Beitrag zur Mahnmal-Debatte spitzt die Diskussion zuVON MORITZ MÜLLER-WIRTHAls György Konrád vor einigen Wochen vor dem Kulturausschuß des Berliner Abgeordnetenhauses gebeten wurde, seine Meinung zur inhaltlichen Konzeption des Jüdische Museums zu erläutern, erhob er sich von seinem Stuhl in der letzten Reihe des Auditoriums, begab sich gemächlichen Schrittes an das bereitgestellte Mikrophon und erklärte - nach einigen Ausführungen zur Sache -, was nur scheinbar an der Fragestellung der Volksvertreter vorbeizielte: Berlin brauche kein Holocaust-Mahnmal, Berlin habe bereits eines: den Bau Daniel Libeskinds, in dem das Jüdische Museum untergebracht werden soll.Das war seine Botschaft.Sie wurde gehört, doch offenbar nicht wahrgenommen.Konrád hatte gesprochen, wie er immer spricht, gleichwie sein Auditorium beschaffen ist, einerlei, um welches Thema es sich handelt.Mit eindringlicher dunkel-singender Melodie, appellierend, kaum insistierend, eindringlich, kaum aufdringlich, mit einem Lächeln in der Stimme, das die inhaltliche Schärfe des Wortes verblüffenderweise eher unterstreicht als relativiert. Diese Stimme, die Stimme György Konráds, geboren 1933 an der Grenze zwischen Ungarn und Rumänien, seit Mai dieses Jahres Präsident der Akademie der Künste Berlin-Brandenburg, diese Stimme ist binnen kurzer Frist zu einer maßgeblichen Instanz geworden.Fast schon scheint sich eine gewisse Vertrautheit eingestellt zu haben.Aus einer vermeintlichen Notlösung an der Spitze einer mit sich und der eigenen Identität ringenden Institution, aus einem womöglich unregelmäßigen Gast aus den noch dazu östlichen Welten der Poesie, ist in nicht einmal einem halben Jahr einer der gefragtesten Köpfe der Stadt geworden.Deshalb gibt es seit kurzem auch in den einschlägigen Kreisen der sogenannten Berliner Gesellschaft einen ideologie-übergreifenden Konsens, der sich auf Premierenfeiern und anderen Partys, in den Gängen des Abgeordnetenhauses, auf den Redaktionsfluren und in Salons Bahn bricht, ganz nach dem Motto: Endlich mal einer.Oft fällt dann auch der Begriff von der Hauptstadt, meistens in Zusammenhang mit geistiger Führung.Gleich darauf dann die Frage: können wir den nicht für uns gewinnen oder zumindest etwas mit ihm machen, kann der nicht für uns schreiben, bei uns reden? Die Attraktion des hochpolitischen Feingeistes, des ungarischen Schriftstellers jüdischen Glaubens, des von Nazis und Kommunisten verfolgten neuen Berliner Citoyens wurde schnell erkannt.Viele derer, die sich dieser Erkenntnis rühmen und Konrád seither zu Festvorträgen, Eröffnungsreden oder Aufsätzen drängen, wurden indes von der Intonation seiner Worte vermutlich überrascht.Da ging es den Abgeordneten ähnlich wie den Debis-Managern, da mußte der Kultursenator ähnliche Erfahrungen machen wie die Mitglieder der Akademie oder auch jene der Berliner Jüdischen Gemeinde. Wo immer Konrád sich äußert, geschieht etwas Merkwürdiges.Auf der einen Seite scheinen seine Worte von in mehrfacher Hinsicht herausragender Güte durch das Wechselspiel von Weichheit und Scharfsinn zur Wahrnehmung der Inhalte zu zwingen.Auf der anderen Seite wird die Kompromißlosigkeit seiner Analysen oftmals ummäntelt von jener geradezu präsidialen moralischen Autorität, die der Polarisierung, ja der Polemik auf den ersten Blick unvereinbar entgegen steht.Wo Konráds Vorgänger als Akademiepräsident, Walter Jens, mit stechender Stimme, mit Wortwitz und geschliffener Rhetorik das Auditorium oder den Leser von Anbeginn unmißverständlich mit dem Ziel der Argumentation vertraut werden ließ, oft mit jeder Silbe Widerspruch provozierend, da scheint György Konrád auf den ersten Blick mit der scheinbaren Milde seiner Worte kaum zu wirklicher Kompromißlosigkeit in der Lage. Welch ein Irrtum.Mit seiner jüngsten Wortmeldung zum geplanten Holocaust-Mahnmal, die wir in Auszügen auf dieser Seite dokumentieren, stellt György Konrád eine in dieser Stadt in der Tat seltene Gabe unter Beweis, die jene, die ihn umwerben, wohl eher instinktiv denn bewußt wahrgenommen haben: die außerordentliche Fähigkeit, mit der Klarheit des Wortes die Klarheit des Geistes zu dokumentieren.Seine These, die sich, verkürzt, in Ablehnung der Monumentalität eines Denkmals zusammenfassen läßt, ist in der Mahnmal-Debatte nicht neu.Allein die Art, wie sie vorgetragen wird, erklärt ihre über ähnliche Äußerungen von gleichsam kompetenter Seite hinausgehende Wirkung. Erstmals jedoch fällt eine gewisse sprachliche Zuspitzung auf.Im Gegensatz zu seinen Reden zur Eröffnung des Debis-Gebäudes auf dem Potsdamer Platz, zu seiner Ansprache vor den versammelten Mitgliedern der Akademie und auch zu seinen Äußerungen zum Jüdischen Museum.Wer wollte, konnte in allen Fällen Konráds Position unmißverständlich heraushören."Die Pflege der Künste liegt nicht weniger im öffentlichen Interesse als die Unterhaltung einer Armee", hat er den Debis-Managern gewiß auch mit Blick auf den Rüstung exportierenden Mutterkonzern erklärt.Seine Akademie forderte er im Gegenzug nicht ohne Grund auf, die Scheu gegenüber einer Zusammenarbeit mit der Wirtschaft abzulegen, dem Kultursenator empfahl er eine stärkere Betonung des europäischen Judentums in der Konzeption für das Jüdische Museum.Die Angesprochenen nickten alle beifällig. Lediglich sein Vortrag zur "Reichspogromnacht" am 9.November indes hätte in der Jüdischen Gemeinde zu Berlin fast zu einem Eklat geführt.Konráds eindringliche Schilderung der Situation in seiner Heimatstadt Budapest im Jahre 1944 erschien einigen Gemeindemitgliedern als "an die Täter" gerichtete moralische Belehrung.Es wird von offenem Protest im Publikum berichtet.Konrád hatte Wirkung erzielt, gewiß in einem Sinne, die er nicht intendierte. Jetzt also, erneut, das heiße Eisen Holocaust-Mahnmal.Die Frage: Wer nickt diesmal? Berlin jedenfalls wird lernen müssen, mit dieser Wirkung zu leben.György Konrád wird erfahren, daß seine Worte in dieser Stadt auf spezielle, vielleicht einzigartige Weise Verbreitung finden.Dieser Prozeß könnte hin und wieder schmerzhafte Phasen mit sich bringen.Auch für Konrád, der feststellen wird, daß das Klima in der Stadt der inhaltlichen Auseinandersetzung mit entschiedenen Positionen oftmals nicht eben den Boden bereitet.Er wird erkennen, daß hinter einigen unter jenen, die ihn um das Wort bitten, das eigene Interesse jenes an seiner Position überlagert.So wird er sich wohl auch rarmachen müssen.Seinen Wert für die Stadt würde das noch steigern.Und er sollte bei aller Wirkung seiner im weitesten Sinne (tages-)politischen Äußerungen nicht vergessen, gelegentlich, mit der gleichen eigentümlichen Mischung aus Sanftmut und Kampfgeist, aus Liebenswürdigkeit und Schärfe, uns an jenem teilhaben zu lassen, was die Basis war und ist für Autorität und Wirkung: sein literarisches Werk.

MORITZ MÜLLER-WIRTH

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