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Kultur: Wer schreibt, bleibt

Er ist einer der meistgespielten deutschen Komponisten dieses Jahrhunderts, nicht zuletzt, weil er viel für Laienmusiker geschrieben hat.Doch der Masse ist er unbekannt geblieben: Harald Genzmer.

Er ist einer der meistgespielten deutschen Komponisten dieses Jahrhunderts, nicht zuletzt, weil er viel für Laienmusiker geschrieben hat.Doch der Masse ist er unbekannt geblieben: Harald Genzmer.Er, der heute neunzig Jahre alt wird, ist geistig so aufgeräumt wie sein Wohnzimmer.Dort ist alles an seinem Platz.Das Gemälde hinter dem Sofa hängt genau in der Mitte.Links und rechts davon zwei Stehlampen - wie Säulen.

Ohne Pause redet er über sein Werk."Ich habe im letzten Jahr viel komponiert, darunter ein Te Deum und eine Sonate für Baßtuba und Klavier.An Weihnachten habe ich den Vertrag über meine fünfte Sinfonie bekommen." Leben heißt für ihn arbeiten, und das am liebsten ewig."Nie", erwiderte er einmal auf die Frage, wie er sterben möchte.Genzmer komponiert immer - wenn ihm bei seinen Reisen nach Italien und Frankreich ein Motiv einfällt, schreibt er es in seinen Kunstführer.

Die Musik von Genzmer, der sich den Moden stets verweigerte, lebt von ihren hellen Klängen, eingängigen Motiven und singbaren Linien.Der in Blumenthal bei Bremen geborene Sohn des Juristen und Edda-Übersetzers Felix Genzmer studierte ab 1928 bei Hindemith in Berlin.Der Instrumentenkundler Curt Sachs schärfte Harald Genzmer ein, erst dann für ein Instrument zu schreiben, wenn er sich völlig in dessen Spielweise eingelebt hat.Von Sachs erbte er auch die Neugier für ausgefallene Instrumente.Als sich bei einer Ausstellung über Genzmer herausstellte, daß dieser für alle Orchesterinstrumente komponiert hatte, nur für die Tuba nicht, machte er sich umgehend daran, diesen Mangel zu beheben - er schrieb ein Tuba-Stück.

Genzmer komponierte auch für andere Exoten: für das Holzblasinstrument Heckelphon, für Hackbrett und für das Trautonium, ein elektronisches Saiteninstrument, das Oskar Sala mit seiner Musik zu Hitchcocks Film "Die Vögel" bekannt machte.1939 veröffentlichte Genzmer das erste Trautoniumkonzert, das von den Berliner Philharmonikern uraufgeführt wurde."Ein Kritiker schrieb, ich sei ein entarteter Fäulniserreger.Das war gefährlich." Trotzdem weigerte sich Genzmer, der NSDAP beizutreten.Und als sein Lehrer Hindemith zur Emigration gezwungen wurde, schrieb Genzmer der Berliner Musikhochschule einen Verteidigungsbrief - im "Dritten Reich" konnte er deshalb keine akademische Karriere machen.

1933 ging Genzmer als Korrepetitor und Studienleiter an die Breslauer Oper.Selbst komponierte er nur ein einziges Bühnenwerk - das Ballett "Der Zauberspiegel" -, aber keine Oper."Etwas, für das man nicht auf der Welt ist, soll man gar nicht erst probieren." 1938 kehrte Genzmer nach Berlin zurück, "ins Zentrum des Orkans, denn dort ist immer Ruhe".An der Volksmusikschule in Neukölln arbeitete er erstmals mit Laien, fing an, für sie leichte Stücke zu schreiben.Generationen von Musikschülern haben seither seine Melodien gespielt.

Nach dem Krieg, den Genzmer als Wehrmachtsmusiker überlebte, ging er erst an die Freiburger, 1956 schließlich an die Münchner Musikhochschule.Hier widmete er sich vielen Ehrenämtern in bildender Kunst und Musik.Dafür nahm er nie an Festivals teil, betonte seine Unabhängigkeit von modernen Musikströmungen.

Sein Geld wird der kinderlose Genzmer einmal einer Stiftung hinterlassen, die junge Musiker fördert.Eine eigene "Schule" hat er nicht begründet."Man soll aus einem Komponisten keinen Heiligen machen", sagt Genzmer lächelnd: "Der Komponist, der schreibt, was ihm entspricht, der wird übrigbleiben."

ANDREAS KRIEGER

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