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Kultur: Wer wir sind

Wenn es im Nahen Osten kein Miteinander gibt, wird Israel nur eine Episode bleiben / Von Daniel Barenboim

Heute dirigiert Daniel Barenboim in der palästinensischen Stadt Ramallah ein Gedenkkonzert für den verstorbenen Literaturwissenschaftler Edward Said, mit dem er 1999 den „WestEastern Divan“ ins Leben rief. Aus diesem Anlass spielt erstmals das von Barenboim gemeinsam mit dem National Conservatory of Palestine neu gegründete Palästinensische Jugendorchester. Morgen gibt Daniel Barenboim dann in Jerusalem ein Benefiz-Konzert: zugunsten der unter der Obhut der Barenboim-Said-Foundation stehenden palästinensischen Education Projekte, und ebenso zugunsten des Young Israel Philharmonic Orchestra. Am Tag darauf erhält Daniel Barenboim in der Knesseth in Jerusalem den Wolf-Preis. Dagegen haben prominente Abgeordnete der regierenden Likud-Partei bereits protestiert.

Ich glaube nicht an eine militärische Lösung des Nahost-Konflikts. Moralisch ebenso wenig wie politisch. Israel ist eine starke Nation, und militärisch können die Israelis wahrscheinlich jeden Krieg gegen welches arabische Land auch immer gewinnen. Aber gegen die Palästinenser kann Israel nicht gewinnen. Das ist ein innergesellschaftliches Problem und keines, das von außen kommt.

Der Konflikt mit Syrien stellt sich im Vergleich dazu als normaler Konflikt zwischen zwei Nationen dar. Mit Israelis und Palästinensern aber verhält es sich anders. Das ist wie eine sehr schlechte Beziehung zwischen zwei Menschen, die nicht voneinander loskommen. Man muss sich nur einmal vergegenwärtigen: Vor der Gründung des Staates Israel 1948 waren alle Menschen, die dort lebten, Palästinenser – alle Christen, Juden und Muslime. Das heißt, ein Teil der Bevölkerung bekam damals eine neue nationale Identität, die anderen nicht. Bis heute fragen viele Palästinenser: Wieso müssen die Juden einen selbständigen Staat haben? Mit dem europäischen Begriff von Antisemitismus hat diese Frage nichts zu tun. Aber psychologisch gesehen liefert sie den Grund für die Auseinandersetzungen der letzten 50 Jahre.

Der Nahost-Konflikt ist ein Konflikt der sozialen Gerechtigkeit. Und er ist wie kein anderer an die politische Entwicklung des Staates Israel gebunden, vom frühen Zionismus und Sozialismus der Zwanzigerjahre bis zum heute herrschenden Kapitalismus. Die Gründung des Staates Israel hat den Juden als Juden eine Identität gegeben, zum ersten Mal seit 2000 Jahren. Aber solange wir Juden uns die Frage nicht beantworten: Was ist ein Jude? Und: Wie definieren wir uns? – solange wir nicht wissen, wer wir sind, solange können wir mit den Palästinensern nicht verhandeln. Und wenn wir mir den Palästinensern nicht verhandeln, wird der Staat Israel eine Episode bleiben in der Geschichte des jüdischen Volkes.

Die Akzeptanz des palästinensischen Volkes ist unsere einzige, langfristige Sicherheit, kein Herr Bush und sonst auch niemand.

Wenn man also wie ich nicht ans Militär glaubt, dann gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder das Ganze führt direkt in die totale Katastrophe – wozu wir auf dem besten Wege sind –, oder aber es gibt eine friedliche Lösung. Wenn dies geschieht, dann wird man Kontakte knüpfen: kulturelle, wissenschaftliche, gesellschaftliche, ökonomische. Da ich nicht besonders viel von den jetzigen Politikern halte, von Sharon ebenso wenig wie von Arafat, frage ich mich: Warum soll ich damit warten? Wenn ich als Musiker die Möglichkeit habe, Kontakte zu stiften, warum soll ich es dann nicht tun, hier und jetzt? Und wenn es doch zur Katastrophe kommen sollte, dann haben diese jungen Leute wenigstens ein paar Monate in einer Art Oase gelebt.

Man darf sich aber auch keinen Sand in die Augen streuen: Nicht alle Israelis, Palästinenser und Araber kommen in mein Orchester der Völkerverständigung wegen. Viele wollen einfach nur Musik machen, Musik auf einem Niveau, das ihnen ihre Heimatländer oftmals nicht bieten können. Ist das verwerflich? Ist das legitim? Jedes Orchester ist ein Spiegel der Gesellschaft.

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