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Kultur: Wer zeigt, bewertet

Diagnose in Bildern: Magnum-Fotograf René Burri versteht sich als Interpret der Welt

Bildbände, die die Darstellung eines Lebenswerks versuchen, tragen immer eine gewisse Melancholie in sich. Da betrachtet einer, der noch lebt, sein Werk als abgeschlossen. Auch das Lebenswerk des Schweizer Magnum-Fotografen René Burri kann man sich nun als Ganzes ins Regal stellen, im Phaidon-Verlag ist ein gewichtiger Band erschienen.

Burri hat seine Kamera dazu benutzt, „mich aus den Schweizer Bergen herauszuwuchten“. Und dies ist ihm dermaßen gut gelungen, dass er noch vor seinem dreißigsten Lebensjahr die Welt bereist hatte: Italien, Brasilien, Japan, Südkorea, Vietnam.

Die Illustrierten und Magazine waren groß in den Fünfziger- und Sechzigerjahren, und sie schickten Männer aus, mit nichts als einem Rechteck bewaffnet, die Welt nach Hause zu bringen. Burri, einer von ihnen, wusste, dass dieses Rechteck die Welt nicht nur zeigt, sondern auch bewertet. Folglich hält er die Bilder für seine besten, die er aus ethischen Gründen nicht gemacht hat. Die anderen zeitlosen Bilder veröffentlichte er in vergänglichen Medien. In diesem Band allerdings sieht man deshalb mehr und andere Fotos  als je zuvor. Und versteht am Ende, warum Burri zum Beispiel nicht als Corbusier-Fotograf, sondern als dessen Interpret gilt.    

Denn Burri wollte Bild-Autor sein, nie Dienstleister. Parallel zu seinen Reportageaufträgen fotografierte er für sich selbst Bilder, die er als die eigentlichen ansah. Den Status eines Angestellten hatte er nie. Es gab eine Zeit, da hat Burri Flüge der Swiss Air gegen die Bebilderung von deren Bordzeitschrift getauscht.

Lieber setzte er seine Hartnäckigkeit darein, immer wieder an die Türen von Künstlern zu klopfen. Und wenn Picasso, Le Corbusier oder Giacometti ihm endlich öffneten, versuchte er, unbedingt gegen das Erbe seiner Ausbildung an der Zürcher Kunstgewerbeschule anzufotografieren. Ein Fotograf, glaubte Burri nämlich, habe sich „permanent aus den Fesseln jedweder ästhetischer Normen zu befreien“. Die Fessel Burris, auch das ist gut zu sehen, ist die strenge Formensprache der neuen Sachlichkeit. Die Bilder verraten das Bemühen, lebendiger zu werden – und zeigen die Fessel auch.

Die schwarzweiße Beute dieses fotografischen Lebens ist in dem Band nach Ländern geordnet. Jedem Land ist ein oft greller Farbstreifen am Rand zugeteilt, der wohl die Einordnung erleichtern soll. Leider machen sich diese Streifen manchmal wichtiger als das Bild. Diese Werkschau ist nun auch deshalb etwas melancholisch geraten, weil sie mit einem weniger aufdringlichen Layout der bildnerischen Strenge Burris noch eher gerecht geworden wäre.

Hans-Michael Koetzle (Hg.): René Burri Fotografien, Phaidon Verlag Berlin 2004, 44 Farb- und 378 Duotone-Abbildungen, 448 Seiten, 95 Euro.

Heute um 17 Uhr ist Burri bei c/o Berlin zu Gast und wird mit dem Kritiker und Herausgeber des Bandes, Hans-Michael Koetzle, sprechen. Linienstrasse 144, Tel. 28 09 19 24, Karten 8 Euro.

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