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Kultur: Werner Hofmann: Schließe dein leibliches Auge

Caspar David Friedrich hat seit jeher die Meinungen gespalten. Es erforderte eine eigene Betrachtung, die Konjunkturen der Friedrich-Rezeption nachzuzeichnen.

Caspar David Friedrich hat seit jeher die Meinungen gespalten. Es erforderte eine eigene Betrachtung, die Konjunkturen der Friedrich-Rezeption nachzuzeichnen. Mit der großen Hamburger Retrospektive von 1974 setzte die endgültige Kanonisierung dieses bedeutendsten deutschen Künstlers des frühen 19. Jahrhunderts ein. Zur selben Zeit las Helmut Börsch-Supan in seinem monumentalen µuvrekatalog sämtliche Bilder als verschlüsselte Glaubensbotschaften. Andere Interpreten beharrten demgegenüber auf einer politischen Ikonographie.

Werner Hofmann, der als Direktor der Hamburger Kunsthalle die Wiederentdeckung der "Kunst um 1800" - so der Titel seiner Ausstellungsreihe - initiierte, hat jetzt ein imposantes Buch über den Maler mit dem Untertitel "Naturwirklichkeit und Kunstwahrheit" vorgelegt. Das Begriffspaar pointiert die Auseinandersetzung, die Friedrich zu Lebzeiten führen musste und die bis heute die Rezeption seines Werkes bestimmt: Ob seine Bilder die Natur getreulich wiedergeben oder ob sie eine höhere Wahrheit in Gestalt der Natur zum Ausdruck bringen. Beides, so Hofmann, trifft zu. Die "Ikonisierung bzw. Sakralisierung der Landschaft" ist die eigentümliche geistige Leistung Friedrichs; die malerische liegt im Bruch "mit der zentralperspektivischen Bildtradition". Beides erläutert Hofmann am "Tetschener Altar" - eine ambitionierte Wahl, zählt das 1807/08 entstandene Programmbild zu den umstrittensten des 1774 in Greifswald geborenen und 1840 in Dresden verstorbenen Malers. "Der edle Mensch erkennt in allem Gott", hat Friedrich einmal gesagt und damit für sich eine Wahrheit in Anspruch genommen, die über Unzulänglichkeiten der Naturwiedergabe hinweghebt. Aber Hofmann gibt sich nicht damit zufrieden, Friedrichs Diktum in allen seinen Bildern nachzuspüren, sondern erkennt zugleich den "Rückgriff auf die noch nicht perspektivische Bildordnung des Mittelalters und zugleich einen Vorgriff auf die nicht mehr perspektivische der Moderne".

Vom "Tetschener Altar" leitet Hofmann zu den beiden berühmten Berliner Bildern Friedrichs über, dem "Mönch am Meer" und der "Abtei im Eichwald" (beide 1809/10). Zumal der "Mönch" hat von Anfang an in seiner Fremd- und Neuartigkeit Furore gemacht. Kleist empfand, als seien ihm "die Augenlider weggeschnitten" worden, aber Hofmann verliert sich nicht in der traditionellen Deutung des Bildes als allegorischer Darstellung der Verlassenheit, sondern analysiert zugleich die malerischen Elemente, die den überwältigenden Eindruck des Erhabenen bewirken.

Da wäre nun an Robert Rosenblums epochale Studie "Modern Painting and the Northern Romantic Tradition" von 1975 zu denken, in der der amerikanische Kunsthistoriker den Bogen schlägt - so der Untertitel - von "Friedrich to Rothko". Aber Hofmann versagt sich, wie nahezu überhaupt, die intensive Auseinandersetzung mit der kunsthistorischen Interpretation. Viel lieber verweist er auf Friedrichs Äußerungen - wie jene berühmte Aufforderung "Schließe dein leibliches Auge" -, um sie mit den Augen des Malers zu interpretieren. Als dessen "Kernthema" entschlüsselt er "Nähe versus Ferne". Zugleich aber breitet der Autor ein faszinierendes Panorama der damaligen Kunsttheorie mit der Hauptkategorie der Erhabenheit aus. In dieser Verschränkung der Intentionen Friedrichs - Hofmann zitiert Schillers Wort der "dunklen Totalidee" - mit dem Denken seiner Zeit wird die Praxis des Malers höchst anschaulich. So beschreibt Hofmann die Kombinatorik Friedrichs, aus einem reichen Fundus sorgfältiger Naturstudien neue Landschaften zu schaffen, die doch ganz der Logik eines inneren Bildes gehorchen: Es entstehen Seelenlandschaften.

Caspar David Friedrichs oeuvre, so das Resümee Hofmanns, öffnet sich vielfältigen Interpretationen: "Am stärksten ist Friedrichs Bildsprache dann, wenn sie nicht ein Entweder-Oder verkündet, sondern mehrere Deutungsebenen anbietet." Dafür die Augen zu öffnen, steht Hofmann ein. Kongeniale Unterstützung erfährt der schnörkellose, gehaltvolle Text durch die Vielzahl der seitenfüllenden Abbildungen. Hofmann hat sich mit seinem Buch jenen Traum der Vollständigkeit erfüllt, der ihm bei seiner Ausstellung von 1974 wegen manch unerreichbarer Leihgabe versagt bleiben musste.

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