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Werner Schroeter: "Ich zittere nicht"

Werner Schroeter ist der große Bildermagier unter den deutschen Regisseuren – und schwer krank. Nun wird er in Berlin als Fotograf entdeckt.

Ein Foto hat er auf der Herrentoilette in einem Club geschossen, im Licht von Feuerzeugen. Er ist ganz stolz darauf: „25 Sekunden Belichtungszeit, ohne Blitz, aus der Hand. Ich bin ein geborener Fotograf. Ich zittere nicht.“ Dafür hustet Werner Schroeter, zum Gotterbarmen. Auch sonst sieht er ziemlich schmal aus, so ganz in Schwarz, an diesem weißen Dezembertag. Trotzdem strahlt er vor Energie: Die Fotoausstellung, die das Haus am Lützowplatz ihm pünktlich zu Weihnachten ausrichtet, ist ein Herzensding, das spürt man. Und eine Überraschung dazu.

Denn bis vor kurzem wusste kaum jemand, dass Schroeter, der Film-, Theater- und Opernregisseur, der große Pathetiker und Bilderzauberer, der Wanderer zwischen den Welten, überhaupt fotografiert. Und das mit Polaroid, Minox und Wegwerfkameras. Denkbar simple Apparaturen, bloß keine Bearbeitung, keine großen Geräte, und nur ja nichts Digitales. Augenblicksfotografien sind das, nur so dahingehuscht. Und doch strahlen die Abzüge, als habe er hunderttausend Kerzen im Hintergrund angezündet.

Zum Beispiel die Serie mit Isabelle Huppert, der Freundin und Lieblingsdarstellerin, spätestens seit „Malina“. Entstanden im vergangenen Sommer in Frankfurt, ein einziger, wilder Tanz im Schneegestöber der Daunenfedern. Die schmale, zarte Schauspielerin eine Goldmarie, eine Elfe, und um sie herum ein überirdisches Leuchten.

Oder, auf der anderen Seite der Skala, Ulli Lommel und Barbara Valentin im Köln der siebziger Jahre, sehr nachtlebendig, sehr fassbinderesk, viel Fleisch, viel wallendes blondes Haar, viel Sinnlichkeit. Das Bild verwischt mit einer Selbstverständlichkeit, als habe der Fotograf mal so eben aus dem Handgelenk, dem Augenwinkel geschossen.

Natürlich ist da sehr viel von Schroeters Film- und Lebensfamilie. Marianne Hoppe, wie eine Königin, stolz im weißen Mantel und über dem Gesicht höchst elegant der schwarze Spitzenschleier. Oder, noch einmal, blödsinnig lachend, mit einem jungen Mann an ihrer Seite – „Da habe ich gerade einen dummen Witz gemacht“, sagt Schroeter dazu.

Oder Ingrid Caven, 1977, in einer Nachtaufnahme, stolz aufgerichtet im Pelzmantel, Augen- und Mundpartie verheißungsvoll verschattet. Und dann noch mal 2008 in einem Café, mondän mit dunkler Sonnenbrille. Dreißig Jahre gemeinsames Leben, gemeinsames Arbeiten. Werner Schroeter hat, neben allem, auch ein großes Talent für Freundschaften. So bevölkern auch die Nachtgestalten, die schwulen Jungs aus den Clubs, ganz selbstverständlich seine Polaroids. Schroeter begeistert sich: Dieses Blau, das in der Augenpartie wieder auftaucht, kaum merklich, reine Kunst. Das ist das Bild aus der Herrentoilette.

Ein ungehobener Schatz. Ganze Tüten voll Kontaktabzüge lagern bei Schroeter, nie gesichtet, nie archiviert. Rund fünftausend Fotografien mögen im Verlauf der letzten dreißig Jahre entstanden sein. Beim letzten Umzug 2002 tauchten die Tüten wieder auf. Mehr als hundert Bilder hat der Kunsthändler Christian Holzfuss ausgesucht, hat sie von Polaroid- Größe auf Überformat aufgeblasen, mit Billigung des Fotografen. „Ich sehe meine Motive ja auch lebensgroß, und außerdem bin ich auf einem Ohr kurzsichtig.“ Daher die Unschärfe in den Bildern?

Was typisch Schroeter ist: Das goldene Leuchten auf seinen Bildern. Das opernhafte Pathos, mit dem Hintergründe, Tücher, Kleider rot strahlen können wie Samtvorhänge. Und jene Überdeutlichkeit, der Hang zum Melodram. Auch eine Grundüberzeugung gibt es: Dass Leben, dass Schönheit überall sein kann. In Carole Bouquets unendlich ebenmäßigen Zügen, die einmal in nachtkaltem Blau, einmal in sinnlichem Gold strahlen können, beim Dreh 1981 in Prag. Bewusst dazugehängt sind die Bilder von Monsieur José aus Portugal, dem eine Krankheit sein ganzes Gesicht monströs verformt hat, eine einzige, knallrote Fleischgeschwulst, ein Elephant Man der Neuzeit. Zudem ist er Zeuge Jehovas und lehnt eine medizinische Behandlung und Operation ab. Die Schönheit und der Schrecken oder auch die Schönheit im Schrecken, auch das war immer Schroeters Thema, der in Blut- und Gewaltexzessen ebenso schwelgen kann wie im überirdisch Schönen, auch zuletzt wieder, in seinem letzten portugiesischen Filmrausch „Diese Nacht“.

Dass er sich Lautréamont so nahe fühlt, vor allem Maldoror, dem gefallenen Engel, das ist nur konsequent. „Liebst du denn nicht die kristallklaren Bäche, in denen sich tausende roter, blauer, silberner Fischchen tummeln? Du wirst sie mit einem Netz fangen, so schön, dass sie von selbst hineingehen, bis es voll ist“, hat Schroeter seiner Ausstellung als Motto vorangestellt. Schauspieler werden Lautréamont lesen und Elfi Mikesch wird filmen. Was ist Schroeter denn selbst, wenn nicht so ein Fischer, der sie alle in seinem Netz gefangen hat, die roten, blauen, silbernen Fische, von Martin Wuttke und Volker Spengler über Ingrid Andree und Juliane Lorenz, die schöne Magdalena Montezuma und Bulle Ogier? Selbst die Düsseldorfer Industrielle Gabriele Henkel posiert im Streiflicht und im weißen Hemd so souverän-mondän, als sei sie Romy Schneider. Und in einem der letzten Bilder hat Werner Schroeter sich selbst aufgenommen, im letzten Sommer, schräg von unten, ein ausgemergeltes Gesicht, eine Christuspose. Auch das ein Menschenfischer.

Haus am Lützowplatz, bis 28. Februar, Di-So 12-18 Uhr. Am 28., 29. und 30. Dezember gibt es jeweils um 19 Uhr eine kurze Inszenierung von Werner Schroeter: Schauspieler spielen Lautréamont

Christina Tilmann

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