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Kultur: Wer’s glaubt

Viele denken, ein Irakkrieg besiege auch den militanten Islamismus. Doch gerade den hat Saddam Hussein zurückgedrängt

Es wird womöglich bald Krieg im Irak geben. Was der wirkliche Grund dafür sein wird, weiß kaum jemand. Daher wird wild über die Motive der amerikanischen Regierung spekuliert. Ein Argument lautet, dass Amerika als Reaktion auf die Ereignisse des 11. September die gesamte arabische Welt neu ordnen und mit dem islamistischen Denken, das diese Taten möglich gemacht habe, aufräumen wolle. Angefangen werde beim Irak, doch als nächstes stünden Saudi-Arabien oder Jemen auf der Liste. Diese Argumentation findet anscheinend auch das Wohlgefallen zahlreicher liberaler Intellektueller in den USA (Tagesspiegel vom 17. Dezember 2002).

Dabei sind erhebliche Zweifel am „Durchhaltewillen“ der USA angebracht. In der Vergangenheit hatte Amerika nie den langen Atem zum „nation building“ – mit Ausnahme von Nachkriegsdeutschland. Vor allem aber ist der Irak nicht das geeignete Objekt, wenn es um die Bekämpfung eines obskuren, antiwestlichen Islamismus geht. Man kann Saddam Hussein aller möglichen Verbrechen anklagen – der Förderung oder auch nur Tolerierung einer gewalttätigen, fundamentalistischen Islam-Interpretation aber nicht.

Zwar ist der Islam in der irakischen Verfassung als Staatsreligion festgeschrieben. Aber in der Praxis hat Saddam Hussein die Religion aus dem öffentlichen und politischen Raum weitgehend verbannt, sah er sich selbst doch früher als Schüler Lenins und kam auf dem Ticket der gemeinhin als laizistisch beschriebenen Baath-Partei an die Macht. Saddam wollte den neuen irakischen Menschen schaffen, um dem Land die Führung in der arabischen Welt zu sichern. Dazu brach er mit vielen Traditionen: Das alte Bagdad wurde abgerissen und durch arabisch-sozialistische Betonarchitektur ersetzt; Alphabetisierungskampagnen richteten sich ausdrücklich an die Frauen. Gingen 1970 nur 34 Prozent der Mädchen zur Schule, so waren es zehn Jahre später bereits 95 Prozent. Alkohol wurde bis Mitte der 90er Jahre in Restaurants ausgeschenkt, noch heute kann man ihn in Geschäften unbehelligt für den Hausgebrauch einkaufen. Der Kontrast zur saudi-arabischen Gesellschaft könnte nicht größer sein.

Religion und religiöse Erziehung wurden aus politischen Gründen unter strikter Kontrolle des Staates gehalten. So ernennt das Regime seit 1979 die religiösen Führer der schiitischen Mehrheit im Lande – missliebige Geistliche wurden kurzerhand ermordet –, ihre etwa 22 000 Moscheen stehen ebenso unter staatlicher Kontrolle wie die sunnitischen Einrichtungen. Da das Regime Jahrzehnte lang einen prowestlichen Kurs fuhr, gab es keine Indoktrination, die den politischen Interessen des Regimes zuwiderlaufen könnte.

Daher ist es wohl kein Zufall, dass keiner der Attentäter des 11. September aus dem Irak stammte. Trotz größter Bemühungen konnte die US-Regierung bislang keine Verbindung zwischen dem Regime in Bagdad und Al-Qaida nachweisen: Islamisten mit der Weltsicht von Al-Qaida hassen Saddam Hussein dafür, dass er den Islam an den Rand der Gesellschaft gedrängt hat. Die Baath-Partei ist wegen ihres laizistischen Charakters einer ihrer größten Feinde in der arabischen Welt. Wenn Al-Qaida sich dennoch mit dem irakischen Volk gegen die USA solidarisiert, geschieht dies aus taktischen Gründen.

Allerdings ist diese „Entislamisierung“ des öffentlichen Lebens seit dem Golfkrieg von 1990 rückläufig. Um sich nach seiner Niederlage breiteren Rückhalt in der Bevölkerung zu verschaffen, setzte Saddam Hussein schon während und erst recht nach dem Krieg verstärkt auf religiöse Rhetorik. Die unter den UN-Sanktionen leidenden Iraker wandten sich in ihrer Not ohnehin verstärkt wieder dem Islam zu. Eine Entwicklung, die mit der andauernden Isolation und Kriegsbedrohung noch zunehmen dürfte.

Sicher, der Irak braucht eine demokratische Neuordnung – wenn denn die USA bereit sind, sich wirklich dafür zu engagieren. Ob deshalb ein Krieg geführt werden sollte, ist eine andere Frage. Ausgerechnet in diesem Land wird man jedenfalls kaum mit der Ausrottung des gewalttätigen, antiwestlichen Islamismus beginnen können, den die USA hinter den Anschlägen des 11. September vermuten. Als Argument für den Krieg eignet sich der Islam im Irak jedenfalls nicht.

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