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Orchester

© Davids/Darmer

West-Eastern Divan Orchestra: Den Bomben zum Trotz

Krieg und Musik: Heute spielt das West-Eastern Divan Orchestra in der Berliner Staatsoper - das wahrscheinlich politischste Orchester der Welt. Ein Probenbesuch.

Was für Probenbedingungen: Eine Wand aus Kameras und Mikrofonen rückt dem West-Eastern Divan Orchestra auf die Pelle. Riesige Objektive, manche suppentellergroß, bohren sich regelrecht in jede Regung, jede Armbewegung, jedes Lächeln der jungen Musiker. Als Daniel Barenboim die Probebühne der Staatsoper betritt, geht ein Zucken durch die Menge. Der Maestro ist das gewohnt, nimmt’s gelassen und beginnt gleich mit der Probe zu Brahms 4. Symphonie.

Dieses Jahr wird das von ihm und dem palästinensischen Literaturwissenschaftler Edward Said gegründete Orchester, in dem Musiker aus Israel, den arabischen Ländern und Spanien spielen, zehn Jahre alt. Die Jubiläumstournee sollte eigentlich in Kairo beginnen, doch weil Bomben auf Israel und den Gazastreifen fallen, wird die Tournee in Berlin eröffnet – mit einem ausverkauften Konzert in der Staatsoper heute um 20 Uhr und, weil die Nachfrage so groß war, noch einem zweiten Konzert um 23 Uhr.

Die Aufmerksamkeit ist enorm. Kein Wunder, dieses Orchester ist, obwohl es sich als rein humanistisches Projekt versteht, so politisch wie kein anderes. Auf der Probe allerdings schaffen es Dirigent und Musiker, die Anwesenheit der Kameras und die damit einhergehende Hektik und drangvolle Enge auszublenden und professionelle Ruhe zu bewahren. Hart klingt unter ihren Händen das sowieso schon schicksalsschwere Stück, trotzig und scharfkantig, als müsste das Orchester kollektiv seine Aggressionen verarbeiten.

Barenboim unterbricht viel, lässt Stimmen einzeln proben, ist noch unzufrieden mit dem Zusammenspiel. Auf den Stühlen liegen die aufgeklappten Geigenkästen, in einigen von ihnen stecken Familienfotos. So wird der Geigenkasten zum Wohnwagen und die Musik zur mobilen Heimat dieser Musiker. Dann will Barenboim doch in Ruhe proben, bis das Pressegespräch beginnt. Strahlend klares Winterlicht ergießt sich über einen märchenhaft verschneiten Bebelplatz, in der Hedwig-Kathedrale erklingt die Orgel zur Messe. Im Rokoko-Prunk des Apollo-Saals der Staatsoper allerdings wird dann über den Krieg zwischen Israel und der Hamas geredet. Auf dem Podium neben Barenboim: Miriam Said, Witwe des 2003 verstorbenen Edward Said, und vier Musiker aus dem Orchester. Barenboim, in schwarzen Socken mit aufgedruckten Noten, versucht deutlich zu machen, wie wichtig im Nahen Osten die Frage der Herkunft ist. In Europa, sagt er, sei das nicht mehr so wichtig. „Hier weiß man, dass man einem Franzosen besser Wein anbietet statt Bier und dass es bei einem Tschechen umgekehrt ist.“ Im Nahen Osten dagegen ist die Frage ‚Woher kommst du‘ manchmal eine Frage von Leben und Tod.

Natürlich will das Publikum wissen, wie das Orchester über den Krieg denkt. Vergangenen Sonnabend haben die Musiker, die nicht das ganze Jahr über zusammen auftreten, erstmals seit sechs Monaten wieder geprobt und ein Gespräch über Gaza geführt. Obwohl es immer wieder zu kleinen Kämpfen innerhalb des Orchesters gekommen sei, erzählt die Oboistin Meirav Kadichevski aus Israel, sei die Gruppe doch viel mehr verärgert über die Gesamtsituation als über einzelne Orchestermitglieder. Sie selbst müsse zu verstehen lernen, wieso viele Palästinenser, obwohl Israel doch alle Siedlungen aus dem Gazastreifen abgezogen habe, angesichts ihrer elenden Lebensbedingungen immer noch für den Kampf gegen Israel seien.

Es ist kein Kampf, der militärisch oder diplomatisch gewonnen werden kann, da sind sich alle auf dem Podium einig. Erst wenn beide Völker gelernt haben, gegenseitig ihre Erzählungen zu verstehen, kann es zu einem echten Frieden kommen. Für Daniel Barenboim ist die Ausgewogenheit von Intellekt, Emotion und Temperament, das Zuhören und Aufeinander-Abgestimmtsein, ohne das keine Musik entstehen kann, vorbildlich für den Umgang von Menschen und Staaten untereinander. „Musik ist keine Flucht aus der Realität, sondern das Gegenteil davon. Sie zeigt, wie man leben soll.“

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