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Wettbewerb: Der Feind in meinem Leben

Außer Konkurrenz im Wettbewerb: Berlin spielt mit im Thriller „Unknown“. Diane Kruger präsentiert ihn auf dem Festival.

Manchmal genügen ein Blick, eine Geste, ein ausbleibendes Wort, um eine ganze Welt einstürzen zu lassen. Die schöne Blondine, die Dr. Martin Harris für seine Frau hält, steht mit dem Rücken zu ihm am Büfett eines Bankettsaals. „Liz!“, ruf er ihr zu. Doch als sie sich umdreht, weicht sie zurück, und ihr Lächeln gefriert: „Verzeihung, kennen wir uns?“ „Ich bin’s, Martin“, stammelt er, „Dein Ehemann“. Aber Liz zeigt nur kühl auf einen Herrn im Smoking: „Das ist mein Ehemann.“ Nein, Harris und Liz kennen einander tatsächlich nicht. Zumindest nicht richtig.

Es gehört zu den ehernen Genregesetzen des Verschwörungsthrillers, dass nichts so ist, wie es auf den ersten Blick zu sein scheint. Man könnte Liam Neeson, den Helden des außer Konkurrenz laufenden Berlinale-Wettbewerbsbeitrags „Unknown“, für einen Nachfahren von Cary Grant halten, den in Hitchcocks Klassiker „Der unsichtbare Dritte“ Geheimdienste jagen, weil er mit einem anderen verwechselt wird. Nur ist es in dem vom spanischen Regisseur Jaume Collet-Serra nach einem Roman des französischen Autors Didier van Cauwelaert inszenierten Actionkrimi gewissermaßen andersrum. Neeson wird keine falsche Identität angedichtet, ihm wird seine Identität gestohlen.

Harris, ein erfolgreicher Forscher, ist zu einem biotechnischen Kongress nach Berlin gekommen. Doch er verunglückt im Taxi bei einem Unfall auf der Oberbaumbrücke, die Fahrerin (Diane Kruger) rettet ihn in letzter Sekunde aus der Spree. Als er nach vier Tagen Koma im Krankenhaus zu sich kommt, glaubt er in einem Albtraum zu erwachen. Niemand erkennt ihn, nicht die Mitarbeiter des Hotels, nicht seine Frau (January Jones, die Betty Draper aus „Mad Men“), die Polizei, der er keine Papiere vorlegen kann, schon gar nicht. Und auf der Internetseite seines Instituts steht jetzt das Foto seines Rivalen, des angeblich echten Dr. Harris (Aidan Quinn). Außerdem wird Harris von einem schwarzen SUV-Wagen verfolgt, in dem Männer sitzen, die auch vor Mord an Krankenschwestern nicht zurückschrecken. Ohne Ausweis will ihn kein Hotel aufnehmen, er findet sich in einer Welt voller Feinde wieder.

Berlin verströmt in dem schön altmodisch nach klassischen Noir-Mustern aufgebauten Thriller von Anfang an eine Atmosphäre der Kälte und Fremdheit. Am Flughafen werden die Besucher von einem Schneesturm empfangen, der Taxifahrer telefoniert in einer unverständlichen Sprache, das Handy findet kein Netz. Fremde sind in dieser unwirtlichen, zugemüllten und mit Graffiti beschmierten Stadt nicht sehr willkommen. Als Harris seine Lebensretterin sucht, wettert ihr Chef: „Illegale Einwanderer zerstören die deutsche Gesellschaft.“

Harris findet dann doch Unterschlupf bei der Taxifahrerin, die aus Bosnien nach Deutschland geflüchtet ist und sich vor den Behörden verstecken muss. Aber vor lauter Suspense hat „Unknown“ erst einmal keine Zeit für eine Romanze. Die rasanten Actionszenen – eine Autoverfolgungsjagd durch die Friedrichstraße wird bei der Pressevorführung jubelnd gefeiert – helfen auch, die logistischen Löcher des Drehbuchs zu überdecken. Es geht um ein Wundergetreide, das den Welthunger besiegen kann, und um einen von Terroristen bedrohten Saudi-Prinzen. Bruno Ganz hat einen wunderbaren Auftritt als AltAgent, der in seiner mit Stasi-Devotionalien gefüllten Wohnung einen Wodka-Toast auf seine ehemaligen Kollegen ausspricht. Am Ende explodiert das halbe Hotel Adlon und in den Trümmern trifft Liam Neeson seinen Widersacher zum Showdown. Ohne Waffen. Für den Ex-Preisboxer ist so ein Duell natürlich kein Problem. Christian Schröder

Heute 12 und 23 Uhr (Friedrichstadtpalast), 17.30 und 20 Uhr (Urania)

Einen fast zwei Meter großen Mann unter Wasser aus einem demolierten Taxi ziehen? Für eine zierliche Frau keine Kleinigkeit, man glaubt es Diane Kruger sofort. Bei den Dreharbeiten zu „Unknown“ hat sie zwar kaum diese Plateau-Stilettos getragen wie am Freitag auf der Pressekonferenz, doch dürfte das den Dreh der Actionszene nicht wirklich erleichtert haben. Mulmig sei ihr schon gewesen, verriet sie: „Ich hätte das gern einer fähigen Stuntfrau überlassen.“ Aber sie wollte als starke Frau auf der Leinwand glaubwürdig wirken, es nicht zuletzt auch sich selbst beweisen – na, da musste sie eben ins Wasser. Was ihr half: „Es ist ein bisschen wie ein Tanz, den man erlernt.“

Eine internationale Schauspielerin möchte sie sein, eine, die mal eine Deutsche, mal eine Französin, mal eine Amerikanerin spielen kann, in diesem Fall eine Bosnierin, die sich illegal in Berlin aufhält. Ab Mai ist sie dann Marie Antoinette. Dreimal habe sie in Berlin gedreht, doch erstmals spielte der Film auch tatsächlich hier. Es hätte ohne Weiteres Paris sein können, der Handlungsort in der Vorlage des Films, aber Paris, erzählte Regisseur Jaume Collet-Serra, sei beim US-Publikum allzu bekannt. Berlin dagegen: „eine sehr interessante, geschichtsträchtige Stadt, die noch ihre Identität sucht“ – für den Regisseur der ideale Hintergrund der Geschichte, in der auch Dr. Harris nach seiner Identität suche. „Wir versuchten Orte zu finden, die ausdrücken, was die Hauptfigur durchmacht.“

Einige empfahlen sich schon durch ihre Eignung für die vorgesehene Szene. Etwa die Friedrichstraße, Schauplatz einer spektakulären nächtlichen Verfolgungsjagd, durch die Dussmann-Arkaden, bis zum finalen Crash am Hackeschen Markt. „Wir haben die Friedrichstraße ausgewählt, weil es die geradeste Straße in Berlin und sehr gut beleuchtet ist.“

Einen großen Einfluss habe Hitchcock gehabt, einige Szenen seien geradezu eine Hommage, bestätigte der Regisseur. Besonders die Grundkonstellation erinnere an den britischen Meister des Suspense: „ein gewöhnlicher Mann in einer ungewöhnlichen Situation“. Auch nach einem Einfluss der „Bourne Identity“ mit Matt Damon auf „Unknown“ (deutscher Titel: „Unknown Identity“) wurde Collet-Serra gefragt. In seiner Antwort hob er seine besondere Art der Action hervor, die sich auf die Charaktere konzentriert habe, mit der Kamera immer ganz nahe an den Figuren. So sei die Verfolgungsjagd im Taxi mit Neeson und Kruger direkt im Auto gefilmt worden, während der Fahrer oben auf dem Dach gesessen habe. Die Angst in den Gesichtern der Schauspieler – wenn man dem Regisseur glaubt, war sie echt. Andreas Conrad

Bruno Ganz hat einen wunderbaren Auftritt – als

Spion mit Stasi-Vergangenheit

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