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London

© Berlinale

Wettbewerb: Liebet Eure Feinde!

Kein stockbraves Versöhnungskino. In "London River" erzählt Rachid Bouchareb vom Leben nach den Terroranschlägen vom Sommer 2005.

Ach Gott, was musste man nicht alles befürchten vor diesem Film! Alle Anzeichen deuteten auf einen absolut wohlmeinenden, total aufgeschlossenen Kultur-, Religions- und Rassenverständigungsfilm hin. Die Vorberichte erzählten von einer Frau namens Elisabeth und einem Mann mit Namen Ousmane, die nach London reisen, weil sie ihre Kinder als Opfer der Terrors vom 7. Juli 2005 wähnen. Sie kommt von der britischen Insel Guernsey, er lebt als Afrikaner in Frankreich. Sie betet zu Christus, er verehrt Allah. Sie ist weiß, er ist schwarz. Wie es weitergehen würde, konnte man sich denken: Anfangs würden sich die etwas zu weinerlich-dickliche Europäerin und der etwas zu würdevoll-schlanke Afrikaner einander mit Vorbehalten begegnen. Doch irgendwann bräche das Eis. Am Ende lägen sie sich tränenreich in den Armen.

Diese Besorgnis konnte auch ein Blick auf den Lebenslauf des Regisseurs nicht entkräften: Hatte nicht Rachid Bouchareb, der 55-jährige Franzose algerischer Herkunft, schon 2001 einen Film im Wettbewerb, der völlig kontroversefrei und durchaus behäbig von der Sklaverei und ihrem Nachleben erzählte? War „Little Senegal“ nicht genau die Art von Wohlmein-Kino, die auch „London River“ zu werden drohte?

Am Anfang des Films noch glaubt man sich auf der Fährte dieses stockbraven Versöhnungskinos. Die Bäuerin Elisabeth (Brenda Blethyn) hört in der Kirche den Priester aus der Bergpredigt zitieren: „Ich aber sage euch, liebet eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen.“ Als sie in London ankommt, skeptisch und ängstlich, hilft ihr ein freundlicher langbärtiger Muslime. Die Polizei ist voller Geduld. Auch Ousmane – gespielt von Sotigui Kouyate, der Theaterfreunden als Mitglied von Peter Brooks Ensemble bekannt ist – trifft auf hilfsbereite Gläubige in der Moschee seines Sohnes. Mit anderen Worten: Alle sind gut. Im Hintergrund perlt harmloser Jazz ...

Spätestens an dieser Stelle nun müsste DER Satz folgen: „Doch dann, nach etwa einem Viertel dieses 87-minütigen Filmes, geschieht das Kinowunder: Alles kommt anders als erwartet.“ Aber so kommt es nicht. Jede Befürchtung war berechtigt, alle Besorgnis begründet. Wie sich bald herausstellt, lebten die Kinder der beiden Hauptfiguren als Paar über alle Grenzen hinweg. Und natürlich tun es ihnen allmählich auch die Eltern gleich: Traut sich Elisabeth anfangs nicht einmal, Ousmane die Hand zu geben, nimmt sie ihn am Ende gar in den Arm. How lovely!

Da Elisabeth eine Protestantin ist, darf man den Ton dieses Films vielleicht zu Recht als pastörlich bezeichnen. Wie sagt Ousmane am Ende: „Wahres Glück ist es, das Leben zu lieben.“ Er könnte nicht richtiger liegen. Und wie dieser wahren Aussage kann man als Zuschauer auch all den anderen frohen Botschaften nur zustimmen. Aber darin liegt dann auch die Gefahr: Wer ständig nickt und nickt, nickt irgendwann ein. Einschläfern sollte man sein Publikum allerdings nicht. Schon gar nicht bei diesem Thema. Julian Hanich

11. 2., 9.30 und 18 Uhr (Friedrichstadtpalast), 20 Uhr (Urania)

Julian Hanich

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