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Ein Deutscher in Kamerun: Pierre Bokma als Entwicklungshelfer.

© Komplizen Film

Wettbewerb: Nachtmusik

Mit Ulrich Köhlers Entwicklungshelfer-Drama „Schlafkrankheit“ ist am Samstag der erste deutsche Beitrag im diesjährigen Berlinale-Wettbewerb gestartet.

Das Licht der Taschenlampe kann die Nacht kaum durchdringen. Die Symphonie des Urwalds, das Rauschen und Sirren, die aufflackernden Bilder von Baumwurzeln und Schlingpflanzen – das Herz der Finsternis bleibt undurchdringlich. Man denkt an die Dschungelbilder von Apichatpong Weerasethakul, aber es ist eine andere, spröde Magie. Hier, mitten in der Wildnis von Kamerun, geht der Pariser Arzt Alex (Jean-Christoph Folly) beinahe verloren, ein Franzose mit kongolesischen Wurzeln, dem das Land wegen seiner Hautfarbe aber nicht weniger feindselig begegnet. Alex ist überfordert, Afrika macht ihn ganz krank. Dabei war er bloß gekommen, um ein Projekt zur Bekämpfung der Schlafkrankheit zu evaluieren.

„Schlafkrankheit“ von Ulrich Köhler besteht aus zwei Hälften. Die zweite folgt Alex von Paris nach Yaounde und zur Klinik mitten im Urwald. In Paris darf er sich nach dem Vortrag eines Entwicklungshilfe-Kritikers („500 Milliarden Dollar in 50 Jahren, was hat es Afrika gebracht?“) von den Kollegen Witzeleien über seine Penisgröße anhören; in Afrika sucht er nach einem deutschen Kollegen, nach Doktor Velten, dem Chef des angeblichen Projekts, das trotz stetem Geldfluss aus Europa längst nicht mehr existiert: Die Klinik ist eine Hühnerfarm.

Um Ebbo Velten (Pierre Bokma) geht es in der ersten Hälfte. Ein cooler, warmherziger Typ, der mit seiner deutschen Frau (Jenny Schily) seit Jahren hier lebt, den es erbost, dass die Tochter auf Besuch nicht im Fluss schwimmen mag, der sich nicht aus der Ruhe bringen lässt, als eine Straßenpatrouille sie schikaniert. Noch so eine undurchdringliche Nacht, damit beginnt der Film. Lkws, die über die schmalen Straßen rattern, schlechte Sicht, nur die Taschenlampen der Polizisten.

Ebbos Zeit hier ist zu Ende, Frau und Tochter reisen ab, das Haus wird verkauft, aber Ebbo will nicht weg. In Deutschland ist er fremder als hier. Also bleibt er, verliert sich in seinem geliebten Afrika, hat eine schwarze Frau und ein Baby, ist an dubiosen, mit veruntreuten Geldern finanzierten Projekten beteiligt, geht mit einem Hasardeur auf die Jagd, erzählt Geschichten vom Flusspferd – das am Ende einen märchenhaften Auftritt hat.

Die langen Fahrten. Die unwegsamen Pisten zu den Dörfern. Eine Echse am Fenster. Der Blick in den Garten, das Blattwerk der Bäume, der Fluss, der Wind. Kurze, lapidare Wortwechsel. Ulrich Köhler, Regisseur der Berliner Schule, und sein Kameramann Patrick Orth sind Spezialisten für das Beiläufige, für die Lücken einer Erzählung, jenes Dazwischen, in dem sich oft das Wichtigste ereignet. Köhlers Filmhelden fühlen sich immer fremd in der eigenen Haut: der unentschlossene Bundeswehr-Deserteur in „Bungalow“, die aus ihrer Familie flüchtende Frau in „Montag kommen die Fenster“ – und nun Ebbo und Alex, zwei auf denkbar verschiedene Weise hilflose Helfer. Afrikas wilde Natur, das ist Ebbos verwilderte europäische Seele. Der erste deutsche Wettbewerbsbeitrag: ein heftig umstrittenes Thema, ein stiller, für Momente starker Film.

Heute 9.30 Uhr (Friedrichstadtpalast), 17.30 Uhr (Urania), 21.30 Uhr (Toni), 22.30 Uhr (International)

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