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Wettbewerbsfilm "Was bleibt": Raus aus der Rolle

Der zweite Deutsche im Wettbewerb: Hans-Christian Schmids Familienaufstellung „Was bleibt“ mit Lars Eidinger und Corinna Harfouch.

Sie sagen Gitte und Günter, nicht Mama und Papa. So ist das in modernen Familien im bürgerlich-liberalen Milieu. Marko, der Sohn, ist in die Großstadt gezogen, Jakob, sein jüngerer Bruder, betreibt mit Unterstützung der Eltern eine Zahnarztpraxis im Ort. Ein Heimfahr-Wochenende: Marko bringt aus Berlin das Enkelkind mit, Jakobs Freundin reist ebenfalls an. Wir sind in Siegburg bei Bonn, wo Gitte und Günter im geschmackvoll eingerichteten Siebziger-Jahre-Bungalow leben.

Eine klassische Konstellation. Der Vater, ein erfolgreicher Verleger, pendelte Jahrzehnte lang zwischen Frankfurt und Siegburg, jetzt hat er den Verlag teuer verkauft und freut sich auf den Ruhestand. Endlich öfter mit dem Segelboot raus, endlich das Buch über die Erzählstrategien der Assyrer und Sumerer schreiben, endlich die Reise nach Jordanien. Ein Machertyp, selbstgerecht, jovial, trotzdem nicht unsympathisch, schließlich wird er von Ernst Stötzner gespielt.

Das Reich der Mutter (Corinna Harfouch) ist die Küche, was sonst. Seit 30 Jahren leidet sie unter Depressionen, versucht es neuerdings mit Akupunktur, serviert selbstgemachte Cannelloni und frisch gepressten Gemüsesaft. Mit seiner eigenen Ehekrise will Marko sie nicht belasten. Gitte muss geschont werden, so war es schon immer, und man will es ja nett haben miteinander, wenn man sich nach Monaten mal wieder sieht. Ausschlafen, gut essen, bloß keinen Streit: So lapidar, wie Lars Eidinger das sagt, erinnert sein Marko an seinen Chris in Maren Ades Beziehungsdrama „Alle anderen“ (Berlinale 2009). Eidinger, das ist immer dieser sympathische Schlaks, der sich durchlaviert und Probleme lieber vermeidet.

Je länger man diesem Kammerspiel zusieht, desto mehr erschrickt man. Denn die eigene Familie ist so verdammt ähnlich. Die Wirtschaftswunder- und die Achtundsechziger-Ehen, in denen die Männer Karriere machten und die Frauen beim Kindergroßziehen ungeheuren Frust anhäuften – wie viele mündeten in jener sanften Erstarrung, jenem Theaterstück Familie, wie Hans-Christian Schmid es in „Was bleibt“ in Szene setzt. Er tut es in dieser weniger politischen als persönlichen Geschichte auf die gleiche zurückhaltende Weise, wie man sie von seinen Filmen „Lichter“, „Requiem“ oder „Sturm“ kennt. Zwar treten die subtilen Spannungen zwischen den Eheleuten und den Generationen an diesem Wochenende offener zutage als zuvor, aber die Stimmung bleibt gedämpft.

Leises Sticheln, alte Unaufrichtigkeiten, noch ältere Vertrautheiten. In der schönsten Szene des Films singen Marko, Gitte und Günter den Schlager von Charles Aznavour, bei dem sich „Du bist so komisch anzusehen“ auf „Ich kann dich einfach nicht mehr sehen“ reimt. Die Art, wie Corinna Harfouch sich dabei ins Zeug legt und Ernst Stötzner ihr mit zärtlicher Bestimmtheit an den Nacken greift, könnte bezeichnender nicht sein. Gitte durfte immer nur auf Sparflamme leben, Günter hatte immer das Sagen. Schade, dass Schmid und Drehbuchautor Bernd Lange ihre Beobachtungsgabe nicht öfter für solche Verdichtungen nutzen. Wenn man etwas vermisst an diesem mit einem starken Schauspieler-Ensemble besetzten Film, dann mehr Augenblicke von ähnlicher Intensität.

Gleichzeitig hat Corinna Harfouch auch wieder Recht, wenn sie die von der Krankheit der Mutter gezeichnete Familie im Berlinale-Pressegespräch „ungeheuer geschwächt“ nennt. Das färbt ab, daher die Diskretion der Erzählung, die schließlich davon handelt, dass nicht einmal eine Katastrophe die Erstarrung aufzubrechen vermag. Als Gitte verkündet, dass sie seit zwei Monaten keine Medikamente mehr nimmt, freut sich keiner darüber. Im Gegenteil, alle sind entgeistert. Ihr Mann, weil er nicht beruhigt nach Jordanien reisen kann, die Söhne, weil die Mutter jetzt wirklich unberechenbar wird. Dabei will Gitte bloß nicht mehr wie ein Möbelstück behandelt werden. Der ersten Entgeisterung folgt noch Schlimmeres: Günters Selbstgerechtigkeit („30 Jahre habe ich in diese Ehe investiert!“) seine erniedrigende Gönnerhaftigkeit, sein Geständnis, dass er längst eine andere hat. Dazu die Unmündigkeit der Söhne, ihr Egoismus, mit dem sie der Mutter Unterstützung verweigern. Ihr wird einfach kein Platz zugestanden, also räumt Gitte sich kurzerhand aus ihrem Leben, wie Harfouch es nennt. Verschwindet spurlos im Wald, hinterlässt keine Nachricht, ist weg.

Nicht, dass die Tragödie kathartische Wirkung hätte. Zwar protestiert Marko, „du kannst nicht einfach so gehen“, zwar brechen beide Söhne dann doch in Richtung Eigenverantwortung auf. Aber die Heimfahr-Tage ein halbes Jahr später sehen kaum anders aus als früher mit Gitte: keine Aussprache, keine Konflikte. Ein kurzer, erschreckender Epilog.

Ein fein gezeichneter, minimalistischer, etwas zu scheuer Film. „Was bleibt“ denunziert niemanden, nicht die labile Mutter, nicht den egoistischen Vater, nicht die Söhne, die sorglos aufwuchsen, aber sich nicht festlegen wollen, was die eigene Familie, die eigenen Kinder angeht. Man fühlt sich gleichwohl ertappt.

In der Nacht nach Gittes Verschwinden sucht Marko sie im Wald, ruft nicht mehr Gitte, sondern „Mama“, fällt hin, verletzt sich, träumt von ihr. Der Wald bei Schmid, der Wald in „Dreileben“ von Christian Petzold, Dominik Graf und Christoph Hochhäusler auf der Berlinale 2011, der Wald in so vielen Petzold-Filmen, auch im Berlinale-Film „Barbara“ – er ist ein zentraler Schauplatz des jüngeren deutschen Autorenkinos geworden. Ort der Verirrungen und Verunsicherung, Inbild einer sich verloren fühlenden Generation.

15.2., 9,30 Uhr (Friedrichstadt-Palast), 16.2., 20.30 Uhr (Haus der Berliner Festspiele). 17.2., 21.30 Uhr (Hackesche Höfe)

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