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Kultur: Wetterleuchten in der Brust

Den Wald fühlen: zum 150. Todestag des Dichters Joseph Freiherr von Eichendorff

Als Joseph von Eichendorff 1846 nach Wien kam, wurde er gefeiert. Robert Schumann stellte ihm in einer Matinee den nach seinen Gedichten entstandenen Liederzyklus op. 39 vor, unter den Zuhörern befanden sich Grillparzer und Stifter. In den Vertonungen Dessauers und Mendelssohn Bartholdys waren Eichendorffs Lieder bei Gesangsvereinen und studentischen Sängerschaften beliebt. Ihr Schöpfer galt als scheuer Dichter der „schönen Waldeinsamkeit“, der den Einflüssen seiner Jugendzeit stets treu geblieben war.

Mit diesem tradierten, längst widerlegten und doch zählebigen Bild des Romantikers Eichendorff müssen sich auch heutige Biografen auseinandersetzen. Hartwig Schultz, Mitherausgeber der im Deutschen Klassiker Verlag erscheinenden Werkausgabe, erklärt in seiner neuen Eichendorff-Biografie die Rückzugstendenzen des Dichters zu „Maskenspielen eines großen Unbekannten“.

Schultz zeigt, wie Eichendorff angesichts großer politischer und sozialer Veränderungen zum Mittel der Selbstparodie greift, sich mehr und mehr zu einem aus der Zeit gefallenen Nachzügler stilisiert. In der postum veröffentlichten Erzählung „Unstern“ hat Eichendorff humoristisch beschrieben, wie bereits seine Geburt im Jahre 1788 verspätet erfolgte, weil seine Mutter durch einen zu früh gelösten Böllerschuss in Ohnmacht gefallen war – worin sich das Schicksal des ewigen Pechvogels und Epigonen schon angekündigt habe.

Zu spät war Eichendorff allerdings geboren, um noch den jung gestorbenen Frühromantiker Novalis kennenzulernen, dessen Visionen eines erneuerten Europa aus dem Geiste des christlichen Mittelalters ihn in der Jugend beschäftigen. Als Jurastudent in Heidelberg schließt er sich 1807 mit seinem wenig älteren Bruder Wilhelm, der ebenfalls dichtet, zunächst dem Kreis um den Novalis-Verehrer Heinrich von Loeben an. Dann gerät er in den Bann der neuen von Achim von Arnim und Clemens Brentano herausgegebenen Volksliedsammlung „Des Knaben Wunderhorn“, deren einfacher Volksliedton sein Vorbild wird. Aus der Welt der Balladen, Wander- und Liebeslieder des „Wunderhorn“ übernimmt der junge Eichendorff auch bestimmte Figuren – den wandernden Musikanten, in dem die Grundidee für seinen „Taugenichts“ schon angelegt ist, den Jäger, den Ritter, die dämonische Waldfrau.

Die Natur gleicht in seinen Gedichten einer archetypischen Landschaft, in der die Wälder rauschen, Nachtigallen schlagen und in der Ferne ein Gewitter aufzieht: „Schweigt der Menschen laute Lust: / Rauscht die Erde wie in Träumen / Wunderbar mit allen Bäumen“ beginnt das Gedicht „Abend“ mit den beschwörenden, formelhaft gebrauchten Wendungen, über die viel geschrieben wurde und die oft parodiert worden sind.

Eine frühe Fassung des Gedichts „O Täler weit o Höhen“ nennt das reale Vorbild dieser „klingenden“ Natur noch im Titel: den „Hasengarten“, einen zum Schloss Lubowitz, dem schlesischen Stammsitz der Freiherren von Eichendorff, gehörenden Park. Als Kinder hatten die Brüder hier ihre Lieblingsplätze, blickten über die Oder auf ausgedehnte Wälder und bis hin zu den Ausläufern der Karpaten. Später hat Eichendorff alle räumlichen oder zeitlichen Zuordnungen vermieden – von der Ahnung geleitet, dass sie dem magischen Einklang von Seele und Natur, Innen und Außen nur hinderlich wären: „Und es schweifen leise Schauer / Wetterleuchtend durch die Brust.“

In Heidelberg bekommen die Brüder Eichendorff erstmals die Auswirkungen der finanziellen Misere zu spüren, in die ihr standesbewusster Vater durch den Ankauf unrentabler Güter geraten war. Der Verlust von Lubowitz zeichnet sich ab, lange bevor es – nach dem Tod beider Eltern – 1823 zwangsversteigert wird. In diesen Jahren, in denen Eichendorff zum Kostgänger reicher Verwandter wird, überstürzen sich die Ereignisse. Als die Befreiungskriege beginnen, schließt er sich Lützows Freikorps an, 1815 heiratet er seine Jugendfreundin Luise von Larisch, die ein Kind von ihm erwartet, lässt sie zurück, um sich erneut am Kampf gegen Napoleon zu beteiligen, und zieht mit Blüchers siegreicher Armee in Paris ein.

Wenige Jahre später, als Referendar in Breslau, schreibt er seinem Gönner Fouqué, er sei ständig auf der Flucht vor „verdrießlichen Geschäften“. Dem preußischen Staat, zu dem jetzt auch die Rheinprovinz gehörte, kam er als eine Art „Quoten-Katholik“ gelegen, beruflich bleibt er glücklos. Als Kirch- und Schulrat in Danzig und Königsberg fühlt er sich schließlich lebendig begraben, lässt sich 1831 nach Berlin versetzen, wo er ohne Aussicht auf ein festes Ressort in verschiedenen Ministerien arbeitet. In Berlin nimmt er alte Kontakte wieder auf – zu seinem Freund Chamisso und zu Hitzigs „Mittwochsgesellschaft“.

Veronica Beci, Autorin zahlreicher Lebensdarstellungen von Musikern und Dichtern, hat in ihrer Eichendorff-Biografie ein detailliertes Bild der gesellschaftlichen Zirkel, der beruflichen und künstlerischen Sphären geliefert, in denen er sich bewegte. Seine Modernität sieht sie vor allem in den Hauptfiguren seiner beiden 1815 und 1834 erschienenen Romane „Ahnung und Gegenwart“ und „Dichter und ihre Gesellen“: existenziell verunsicherten Adligen, scheiternden Künstlern und klugen, unglücklichen Frauen, deren Vorbilder Eichendorff in den Kreisen der Romantiker fand.

Bekannt wurde von seinem erzählerischen Werk nur das 1826 erschienene Novellenmärchen „Aus dem Leben eines Taugenichts“ mit seiner an Verwechslungen reichen Irrfahrt nach Italien – einem langen Schwebezustand, über den Thomas Mann schrieb, hier sei „nichts als Traum, Musik, Gehenlassen, ziehender Posthornklang, Fernweh, Heimweh“. Wie schon Fontane sah auch er im „Taugenichts“ eine Verkörperung des musischen Deutschen. Nur der Taugenichts bleibt von jenen Gefährdungen verschont, denen Eichendorffs Figuren sonst ausgesetzt sind – wie der junge Florio aus der ersten, 1819 veröffentlichten Novelle „Das Marmorbild“, den die Ähnlichkeit einer schönen Schlossherrin mit einer alten Venus-Statue im Park fast um den Verstand bringt, wie der Jäger Renald in „Das Schloß Dürande“, der zur Zeit der Französischen Revolution – unerbittlich wie Kohlhaas – zum Rächer der Ehre seiner Schwester wird, oder wie die unnahbare Diana aus der Novelle „Die Entführung“, die vor der Liebe eines Grafen und dem Leben am Hofe des französischen Königs ins Kloster flieht.

Nach seiner kulturhistorischen Schrift über „Adel und Revolution“ zeichnet Eichendorff auch in dieser 1837 erschienenen Novelle erneut ein scharfes Bild der alten Aristokratie, die Romantik bleibt den Naturschilderungen vorbehalten. Die Wälder rauschen noch immer; aber wenn es ein „Lied“ war, das in allen Dingen schläft, gleicht es jetzt einer vergessenen, unverständlich gewordenen Sprache. Der „Zaubergarten“ der Natur kann jederzeit zum Irrgarten werden.

Rolf Strube

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