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Kultur: Wie du mir, so Vampir

Wiener Festwochen: Peter Zadek bittet Gert Voss und Hannelore Hoger zum „Totentanz“

Große Schauspielkunst ist vampirisch. Jedesmal neu nährt sich der Schauspieler vom Blut erdichteter Figuren. Auf der Bühne führt er ein Als-ob-Leben, mit Vorliebe auch ein Als-ob-Sterben vor. Einer von dieser verschwindenden Spezies ist Gert Voss.

August Strindberg war als Dichter eine besondere Art des Vampirs. Er verleibte sich den ganzen Lebensstoff ein (Frauen, Naturwissenschaft, Geschichte, Religion), um daraus eine einzige Rolle zu machen: Ich. Eines seiner berühmtesten Stücke wollte der Erfinder der Ich-Dramatik sogar „Der Vampyr“ nennen. Es heißt „Der Totentanz“, ist der Prototyp aller Bühnen-Eheschlachten des 20. Jahrhunderts und hatte nun in Peter Zadeks Regie mit Gert Voss, Hannelore Hoger und Peter Simonischek als Protagonisten bei den Wiener Festwochen im Akademietheater Premiere.

Zadek, der alte Spielmeister, dem mit Voss großartige Menschenerkundungsreisen zu Tschechow („Iwanow“) und Ibsen („Rosmersholm“) gelangen, hatte bislang um Strindberg einen Bogen gemacht, ein halbes Jahrhundert lang. War es das große Ich, das ihn bei dem monomanischen Schweden so lange abstieß? Und was zog ihn jetzt hin?

Der Artilleriehauptmann Edgar, der Blaubart und Quälmeister, haust mit seiner Gefangenen Alice in drei engen schäbigen Wänden, die der Bühnenbildner Karl Kneidl vor einen Fotoprospekt der Stockholmer Schären gestellt hat. Das ehemalige Festungsgefängnis auf der Insel: ein wackliges Kleinbürgerloch mit den Requisiten von 1900, Pianino, Sekretär, Telegraphenapparat. Absurd mittendrin: die gusseiserne Kanone, auf die Eingangstür gerichtet. Wie so vieles an diesem Abend geht sie nicht los.

Traut am Tischchen an der Rampe: Hannelore Hoger als Alice, ein strickendes Hausmütterchen im Sackkleid, Gert Voss mit offener Uniformjacke, Sporenstiefeln, Leninbärtchen, die kalte Zigarre zwischen den Zähnen. So beginnt kein Titanenkampf der Geschlechter, höchstens ein mürrischer, mild zänkischer Hausmeisterabend à la Ionesco. Wenn der Dritte im Bunde, Cousin Kurt (Peter Simonischek), hereinplatzt, bräsig breit mit Schlapphut, Sporttasche und Cowboystiefeln, dann wird’s vollends kleinteilig. Mühsam wird um den Freund gezerrt: Edgar macht ihn – nicht ganz ernst – für sein Eheelend verantwortlich, weil Kurt ihn vor 25 Jahren mit Alice zusammenbrachte. Alice will ihn allen Ernstes als Befreier aus dem Ehekerker gewinnen. Das geht so hin, ohne Nerven, ohne Ironie, ohne Erotik.

Die Hoger ist Voss mehr Hausmütterchen als erkaltete Geliebte (schon wahr: Strindberg sah die Frau stets als Mutter), und auch Simonischek funktioniert mit ihr erotisch nicht als Paar. Die zwei harmonieren auf andere, für den Abend fatale Weise: Sie treten – zumindest unbewusst – als ständige moralische Bedenkenträger gegen misogyne und herrenmenschliche Verstiegenheiten Strindbergs und seines Hauptmann-Ichs auf.

Was tut Gert Voss? Der große Nervenspieler ist eingeklemmt. Isoliert. Das ästhetische Dilemma lässt ihm keine andere Wahl: Er muss sich freikämpfen. Der Gehirnton wird noch kälter, direkter, der Teint noch chinesichgelber, die Augen noch zombieblauer. Die Hauptmannsmütze setzt er sich schräg auf, dass das rechte Ohr teuflisch absteht. Einmal, im Morgengrauen, steht er hoch über dem Kleinbürgerloch mit nacktem Oberkörper im Sturm, wirft die Arme, und der Körper schreit: ich, ich, ich.

Am Ende ist das Spiel wieder auf Anfang gestellt: das Paar allein. Zombies dürfen nicht sterben. Doch Zadek will auch noch den zweiten, selten gespielten Teil vom „Totentanz“. Ein Jahr später: Kurt ist wohlbestallter Quarantänemeister, hat seinen Sohn Allan zu sich genommen, dem Judit, die kokette Tochter von Alice und Edgar, nachstellt. Zwei immerhin frische Porträts: Johanna Wokalek und Philipp Hauß. Und nun spult Strindberg das volle Vampir-Programm ab. Edgar, unausgelastet im Ruhestand, fängt an, Kurt von innen aufzufressen. Ruiniert ihn finanziell. Nimmt ihm Job und Wohnung und Sohn. Stoppen kann ihn erst Judit, indem sie den greisen Oberst der Garnison als Partie ausschlägt. Da trifft Edgar der Schlag. Er kann nur noch blu-blu-blu sagen, aber immer noch Alice ins Gesicht spucken, als die sich freut. Mit deutlicher Missbilligung gegenüber dem Dichter haut die Hoger dem Sterbenden eine mütterliche Backpfeife. „Ich muss diesen Mann geliebt haben. Und gehasst.“ Und dann faltet sie noch die Hände. „Friede sei mit ihm.“

Auch ein großes Ich braucht Trost. Was Strindberg am Herzen lag, hat er allerdings prägnanter am Ende von „Nach Damaskus“, dem kurz vor „Totentanz“ entstandenen Stationendrama, ausgedrückt. Da bekommt „Der Unbekannte“ von einem dominikanischen Pater im Kloster mitgegeben: „Sag nicht: entweder, oder, sondern: sowohl, als auch! Mit einem Wort oder zweien: Humanität und Resignation!“ War es das, was Zadek bei Strindberg suchte? Das hat er doch bei Ibsen und Tschechow längst gefunden.

Andres Müry

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