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Kultur: Wie ein wilder Vogel

Himmelfahrtskommando Howard Hughes: Martin Scorsese lässt seinen „Aviator“ abstürzen

Von Gregor Dotzauer

Ein Film über Flugzeuge und Frauen. Wobei für Howard Hughes (Leonardo DiCaprio), den Helden von Martin Scorseses fast dreistündigem „Aviator“, der Unterschied zwischen Mensch und Maschine kaum ins Gewicht zu fallen scheint. Im einen Moment streicht seine Hand noch über den nackten Rücken von Katharine Hepburn (Cate Blanchett), schon im nächsten fährt sie prüfend die Außenhaut eines Prototyps entlang. Die Zärtlichkeit ist die gleiche.

Ein Film auch über Aufstieg und Fall eines Besessenen. Wobei die Lebenslinie dieses Wahnsinnigen zusammen mit der seines ehrgeizigsten Projekts abknickt, dem Bau des Kampfflugzeugs XF-11. Der Jungfernflug endet mit einem Absturz über Beverly Hills: Hughes, der Pilot, ein Wrack im Wrack. Und das übermütige Stakkato des ersten Teils schlägt um in die Elendsbögen des zweiten, aus denen sich der zusehends paranoide Held nur für einen letzten öffentlichen Auftritt aus seinem eremitischen Dasein freikämpft.

Das ist es auch schon fast – thematisch. Und das ist es auch wieder nicht. Denn was möchte dieses Epos nicht alles sein: die Biografie eines amerikanischen Mythos; das heimliche Selbstporträt seines Regisseurs in einem frühen Kinomaniac, der in seinen „Hell’s Angels“ die Materialschlachten des Ersten Weltkriegs aufleben ließ; und ein Panoptikum des klassischen Hollywood, in dem Hughes nach Kräften wilderte und mit Charisma und ererbten Millionen von Starlets bis zu Jean Harlow (Gwen Stefani) und Ava Gardner (Kate Beckinsale) reichlich Beute machte. Man möchte es nur nicht wirklich wissen. Denn als Figur zeichnen Scorsese und sein Drehbuchautor John Logan Hughes nicht annähernd so farbig wie als Projektionsfläche.

Ausgestattet mit einigen wenigen Eigenheiten wie der Taubheit auf einem Ohr, einem neurotischen Waschzwang oder der Frauen-Flugzeug-Leidenschaft, bleibt er ein Rätsel, das niemand lösen will und kann. Bis zum Überdruss wiederholt, verraten sie letztlich nichts über den tyrannischen Charakter dieses Mannes. Das ist um so unverständlicher, als Hughes’ wirkliche Geschichte, die sonst gar kein Maßstab sein müsste, genug Material liefern würde, um ihn abgründiger erscheinen zu lassen: etwa als Antisemiten und Mafiafreund. So turnt er als charmantes Springteufelchen durch den Film, dem auch DiCaprio zu keiner größeren Tiefe verhelfen kann – eine Jahrhundertgestalt ohne exemplarisches Format.

Scorsese löst im Verein mit Kamermann Robert Richardson zwar wieder die unscheinbarsten Szenen in komplexen Storyboard-Kompositionen auf. Doch seine Virtuosität läuft ins Leere, solange er nicht weiß,was er erzählen soll. In „Raging Bull – Wie ein wilder Stier“, seinem Epos über Aufstieg und Fall des Boxers Jake La Motta, hat Scorsese selbst vorgemacht, wie es geht, wenn man zum Vergleich nicht fremde biopics wie Milos Formans „Larry Flynt“ bemühen will.

Zu bewundern (und zu lachen) gibt es natürlich trotzdem eine Menge. Wie Cate Blanchett Sprech- und Bewegungsmanierismen von Katharine Hepburn zusammenklaubt, um sie zu einer liebevollen Karikatur aufzublasen – das hat eine widerborstige Präsenz, mit der weder Kate Beckinsale, geschweige denn Gwen Stefani konkurrieren können. Und stellt einen mehr noch als in Hughes’ Leben vor die Frage, wie er es sich denn mit dieser intelligenten Bohnenstange Hepburn so verderben konnte, dass sie zu Spencer Tracy überlief. Auch Alan Alda als korrupter Senator hat eine Größe, die über den Prunk dieses Films hinausreicht.

Vielleicht kommen derartige Produktionen immer zustande, wenn zuviele Menschen daran herumschrauben. Denn der Plan stammt von Leonardo DiCaprio, die erste Organisation von Produzent Michael Mann und nur die Regie von Scorsese – als Auftrag. Dem „Aviator“ jedenfalls ist es nicht bekommen.

In Berlin in 19 Kinos.

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