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Kultur: Wie eine Zitadelle im weiten Land

Als Wolf Vostell am 10.April dieses Jahres in Madrid begraben wurde, lud der Ministerpräsident der Extremadura die Familie drei Tage später zum Essen ein.

Als Wolf Vostell am 10.April dieses Jahres in Madrid begraben wurde, lud der Ministerpräsident der Extremadura die Familie drei Tage später zum Essen ein.Die Regierung wollte mit dieser Geste ihr Interesse an der Zukunft des Vostell-Museums in Malpartida de Cáceres bekräftigen.Die Landesregierung ließ jetzt das Museum durch einen Anbau und eine Schenkung der Fluxus-Sammlung des langjährigen Freundes von Wolf Vostell, Gino di Maggio, erweitern und verfügt nun über den größten öffentlichen Fluxus-Bestand in Europa.

Das Museo Vostell Malpartida (MVM) liegt fernab der Kunstpfade.Der Pilger erreicht es von Madrid nach dreistündiger Zugfahrt.Doch Zentrumsferne paßt zu Fluxus.Die erste transnationale Kunstbewegung nach dem 2.Weltkrieg, die Künstler aus den USA, Japan, Korea, Polen, Frankreich und Deutschland verband, zog es magisch an periphere Orte.Die prägenden Veranstaltungen fanden zu Beginn der sechziger Jahre außer in Berlinin Wiesbaden, Wuppertal und Ulm statt und dann erst in Köln und New York.In Museen reüssieren konnte Fluxus nie.Zwar ist der Einfluß auf den neuerlichen Trend zeitlich begrenzter Werke noch wenig erforscht.Doch in den Museen der Welt gibt es keine Basis, die den Geist des Fluxus zur Geltung bringt.Die Bestände sind in privaten Archiven konzentriert, deren Sammler direkt oder indirekt selbst Beteiligte waren.Und die Frage, ob Fluxus den Geist, den er vertrat, nicht verrät, sobald die Objekte musealisiert werden, hält auch die 120 Skulpturen und Zeichnungen umfassende Schenkung Gino di Maggios lebendig.Fluxus-Künstler haben oft nur Requisiten von Performances hinterlassen, die im Nachhinein der Erzählung ihres Verwendungs- und Entstehungszusammenhangs bedürfen, um Werkcharakter zu bekommen.Deshalb ist es erstaunlich, wie viele eigenständige Werke nun in Malpartida versammelt sind.Es handelt sich um Meisterwerke des Fluxus, die eine Ruheform gefunden haben.

Keine Kunstidee war so lebensfroh und betonte das Festliche von Zusammenkünften so sehr wie Fluxus.Um die Handelbarkeit von Werken scherten sich die Künstler wenig.Sie setzten auf das Hier-und-Jetzt und favorisierten Prozesse gegenüber Resultaten.Zentral war der Umgang mit den Objekten, nicht die Objekte selbst.Damit stellten die Künstler die Eigenständigkeit der Dinge in Frage, gaben ihnen den Status von Relikten und sägten am Karriere-Ast, auf dem sie saßen.Auch deshalb sind manche Fluxus-Künstler - George Brecht, Robert Filliou, Dick Higgins, Al Hansen, Allan Kaprow, Alison Knowles, George Maciunas, Ben Patterson, Ben Vautier, Emmett Williams -, deren Arbeiten nun in der 1500 Quadratmeter großen Halle plaziert sind, für ein breites Publikum vergessen.An John Cage, Nam June Paik, Daniel Spoerri, Wolf Vostell erinnert man sich, weil für sie Fluxus eine Etappe, aber kein Ziel war.Durchgesetzt und etwas banalisiert wurden Ideen von Fluxus erst mit der Event-Kultur, als sich das Publikum zunehmend als Akteur begriff und durch Pop-Kultur aufgepeppt sich selbst zu inszenieren begann.

Die Eröffnungstage in Malpartida waren ein Fest, wie es Vostell sich erträumte.Posthum bekam er einen spanischen Verdienstorden.Eine lange, breite Straße wurde nach ihm benannt, er und seine Frau zu Ehrenbürgern ernannt.Und seinem Antrag auf spanische Staatsbürgerschaft wird im Herbst stattgegeben.Wolf Vostell, der sich als Berliner Künstler verstand ("mein Werk ist Berlin") wird in Spanien umarmt, während seine Geschichte mit Berlin prekär geblieben ist.Seit 1971 lebte der Künstler in der Stadt und arbeitete im Zehlendorfer Atelier von Arno Breker.Seine letzte Retrospektive besorgte Jörn Merkert 1975 in der Neuen Nationalgalerie.Seinen letzten großen Auftritt verschaffte ihm Barbara Straka anläßlich des "Skulpturen-Boulevards 1987", für den er "2 Beton-Cadillacs in Form einer nackten Maja" am Rathenauplatz enthüllte und die ganze Stadt über Kunst zum Sprechen brachte.Das offizielle Berlin ignorierte jetzt den Festakt anläßlich der Eröffnung und der Ehrungen; noch nicht einmal ein Grußwort gab es.

Bereits 1974 hatte der Künstler das Museum auf dem 14 000 Quadratmeter großen Gelände einer Finca in Malpartida nahe der Stadt Cáceres gegründet.Zwei Jahre später wurde es als Museo Vostell Malpartida eröffnet.1992 übernahm es der Staat und investierte fünf Millionen Mark.Das Haus hat neben einem Direktor 16 Angestellte und wird von einem 250 Mitglieder umfassenden Förderkreis gestützt.Mit seinem Erweiterungsbau für sechs Millionen Mark steht es nun wie eine Zitadelle im weiten Land.

Wolf Vostell war 1958 im Alter von 26 Jahren eher zufällig auf Durchreise hier, kehrte ein Jahr später zurück und heiratete seine Frau Mercedes.Der ferne Flecken wurde ihm zum Ort, an dem sein Herz hing: irgendwo außerhalb der Welt, wo eine andere Zeit regiert.Es ist der klassische Ort des studiolo, eines Gehäuses, in dem Künstler sich allein dem Reich der Imagination überantworten.Hier, in der kargen Ebene der Extremadura, in der die Mittagshitze auf 45 Grad im Schatten steigt und alle Straßen leert, hat Vostell ein Wohnhaus und für die Öffentlichkeit ein weitläufiges Museum mit Bühne und Bibliothek gebaut: ein Hof, den Fluxus-Künsten und sich selbst gewidmet.

Vostell wollte nach den Zerstörungen vitaler Traditionen in den dreißiger und vierziger Jahren neue festliche Formen begründen, die die Erfahrungen jener Zeit aufhoben."Mich interessieren menschliche Handlungen und Rituale, der menschliche Umgang mit Objekten und Objekte, die durch den Umgang geprägt werden", schrieb er.Aus diesem Blickwinkel lassen sich seine Performances verstehen.Sie handeln von Knochenbergen, Stacheldrahtverhau über Hausrat, Barackenböden übersäht mit Besteck, Haarhaufen neben einem gefällten Baum und von nackten jungen Frauen neben Fernsehgeräten und Limousinen: Männerobsessionen und jüdische Leidgeschichte im 20.Jahrhundert.

Rituale sind Umgangsformen, die auf Konsens beruhen.Die bizarre Fremdheit der Performances und Happenings verwehrte eine breite Zustimmung.Doch die Aktionen mündeten stets in ein Fest, das Verwunderte versöhnte.So auch dieses Mal.Nach Aktionen und Happenings von Takako Saito, Willem de Ridden, Philip Corner, Ben Patterson und der Lesung eines Manifests, schien es plötzlich, als handele es sich hier um eine Zusammenkunft von Ehemaligen, die die Ideen des Fluxus ritualisieren.Doch dann gab es Essen und Trinken, und die Veranstaltung erreichte wieder die Gegenwart.

Vostell schätzte große Künstlergesten.Er schenkte dem Dali-Museum in Figueras ein Werk.Als Gegengeschenk vermachte Salvador Dali 1988 dem MVM "Das Ende des Parzival": 16 Motorräder aus der Franco-Zeit auf Stelzen.Künstlermuseen erinnern immer an Handlungen.So auch die Sammlung Gino di Maggios, der zu den Wegbegleitern des Fluxus gehörte, die Kunstproduktion durch Initiativen und die Künstler durch Ankäufe förderte, gleichzeitig Komplize der künstlerischen Ideen.In der neuen klimatisierten Halle besorgte der Sammler selbst die Plazierung der Werke: jedes für sich und alle aufeinander abgestimmt.Schon vorher gehörte das Museum zu den drei meistbesuchten in der Extremadura; jetzt hat es noch einmal erheblich an Bedeutung gewonnen.

PETER HERBSTREUTH

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