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Das von den Nazis geraubte Werk gehörte zeitweise zur Kunstsammlung Hermann Görings und war auf Umwegen in den Besitz der Familie Gurlitt gelangt. Heute ist es unter den insgesamt 1280 in Gurlitts Schwabinger Wohnung beschlagnahmten Werken - und damit derzeit nicht im Besitz des 81-Jährigen. „Das, was wir beschlagnahmt haben, ist weiter beschlagnahmt“, betonte der Sprecher der Staatsanwaltschaft. Zu einer Rückgabe der Bilder, die Gurlitt zweifelsfrei gehören und die seit Monaten vereinbart ist, wollte er sich nicht äußern.Für mehr Aufmerksamkeit sorgte die Information, dass es sich bei dem jüngeren Fund im Salzburger Wohnhaus des 81-Jährigen (Bild) um eine weit umfangreichere Sammlung handelt als bislang bekannt. In dem verwahrlost wirkenden Anwesen wurden 238 Kunstgegenstände gefunden - darunter Ölgemälde und Aquarelle von Monet, Renoir, Manet, Gauguin, Liebermann, Cézanne und Nolde sowie Zeichnungen von Picasso und Munch. Bislang war von rund 60 Kunstwerken die Rede gewesen.

© dpa

Wie geht es weiter nach der Einigung im Fall Gurlitt?: Raub bleibt Raub

Neues Buch: Ex-Kulturstaatsminister Michael Naumann und Provenienzforscher Stefan Koldehoff streiten über Gurlitt und die Folgen.

Die Figur Gurlitt ist erstaunlich wandelbar. In der öffentlichen Wahrnehmung hat sie innerhalb kürzester Zeit zahlreiche Metamorphosen durchlaufen: vom Täter zum Opfer und mit Wochenbeginn zum Vorbild. Seit Cornelius Gurlitt mit dem Bund eine Vereinbarung unterschrieben und sich bereit erklärt hat, die unter Verdacht stehenden Werke seiner Sammlung untersuchen zu lassen und bei berechtigten Forderungen zu restituieren, ist abermals eine Wendung in einem Fall eingetreten, der die Gemüter erregte und Deutschlands Nazi-Vergangenheit in die Gegenwart katapultierte.

In Gurlitt fokussiert sich die ganze Problematik der Raubkunst in Privatbesitz. „Wir werden ihm eines Tages noch dankbar sein“, ist Stefan Koldehoff überzeugt. Es überrascht, dies aus dem Mund des Kölner Journalisten und Buchautors zu hören, der sich seit Jahren als hartnäckiger Rechercheur in Raubkunstfragen, als im Auktionshandel vermutlich meistgehasster Kritiker profiliert. Wann immer zuletzt ein Bild mit unklarer Provenienz unter den Hammer geriet, das zuvor jüdischen Sammlern abgepresst worden war, schlug er den geldgierigen Versteigerern auf die Finger.

„Die Bilder sind unter uns“, lautet der Titel seiner zusammengefassten Recherchen, die vor fünf Jahren erstmals erschienen ist. Die Reaktion fiel damals verhalten aus, das lukrative Geschäft mit geraubter Kunst, die in den Museen schlummernden Bestände aus einstmals jüdischem Besitz interessierten kaum. Das hat sich seit Gurlitt gründlich geändert. Koldehoff bringt jetzt sein Buch um dieses jüngste Kapitel erweitert heraus und füllt Säle.

Mit dem ehemaligen Kulturstaatsminister Michael Naumann präsentierte er im Jüdischen Museum die jüngste Neuausgabe und lieferte sich einen spannenden Schlagabtausch. Während Koldehoff den in die Schlagzeilen geratenen Sammler verteidigte und auf das fragwürdige Vorgehen der Augsburger Staatsanwaltschaft verwies, empörte sich sein Gesprächspartner Naumann: „Gurlitt hat heimlich gedealt, er war nicht immer der gebrechliche alte Mann. Er wusste, was er tat und wer sein Vater war“, so Naumann. Doch eines war beiden Diskutanten klar: Weder mit moralischer Empörung noch mit juristischen Winkelzügen kommt man in der Sache voran.

Die Münchner Publizistin und Buchhändlerin Rachel Salamander hatte schon in ihrer Einführung auf die vertrackte Ausgangslage verwiesen: auf der einen Seite die womöglich ahnungslosen Profiteure der zweiten und dritten Generation, die sich nicht von liebgewonnener Kunst trennen mögen, auf der anderen die Nachfahren der in der Nazizeit beraubten Sammler, die nicht auf ihren Familienbesitz verzichten wollen. „Sollen wir deshalb Raub nicht mehr Raub nennen dürfen?“, fragte Salamander. Dass erst jetzt, Jahrzehnte später, darüber öffentlich gesprochen wird, hat viele Gründe. Erst 50 Jahre nach dem Krieg sind viele Archive zugänglich, der Fall des Eisernen Vorhangs brachte neue Dokumente zutage, und häufig wollten die Betroffenen selbst nicht nochmals als Bittsteller vor die Schreibtische deutscher Behörden treten. Mit der Erbengeneration hat sich auch das geändert.

Was also tun? Koldehoff ging den früheren Kulturstaatsminister Naumann, der zwar die Limbach-Kommission auf den Weg gebracht hatte, direkt an, warum er in seiner Amtszeit kein Raubkunst-Gesetz auf den Weg gebracht habe, nur die Selbstverpflichtung, ein „soft law“. Naumann wehrte den Vorwurf erst gar nicht ab: „Das trifft mich tief“, antwortete er. Damals erschien eine gesetzliche Regelung überflüssig, der Bundesrat hätte kaum mitgespielt. Kultur sei schließlich Ländersache. Inzwischen hat sich gezeigt, dass die Museen eine stärkere Verbindlichkeit benötigen. Noch immer ist nur ein Bruchteil der 6000 Museen in Deutschland bereit, die Bestände zu durchforsten. Die Gründe: zu wenig Geld, Zeit, Personal und der für Direktoren typische „Possessivcharakter“ (Naumann).

Und noch einen Vorschlag machte Koldehoff – die Gründung einer Bundesstiftung Raubkunst, um mit deren Mitteln eine gütliche Einigung zwischen aktuellen Privatbesitzern und früheren Eigentümern herbeizuführen. Häufig scheitert sie am Geld. So mussten die Flechtheim-Erben das von Gurlitt zurückgegebene Beckmann-Bild „Der Löwenbändiger“ versilbern, um den Vorbesitzer auszuzahlen. Als Vorbild könnte die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ zur Entschädigung von Zwangsarbeitern dienen. Die Hälfte der Stiftungssumme brachten damals Wirtschaftsunternehmen ein.

An der Bundesstiftung Raubkunst aber sollte sich der Kunsthandel beteiligen, so Koldehoff. Er profitierte damals und tut es heute noch. Ernst Ludwig Kirchners „Straßenszene“, die das Berliner Brücke-Museum 2008 restituierte, brachte bei seiner Versteigerung fast 30 Millionen Euro.

Stefan Koldehoff: "Die Bilder sind unter uns. Das Geschäft mit der NS-Raubkunst und der Fall Gurlitt." Verlag Galiani Berlin, 325 S., 14,99 €.

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