zum Hauptinhalt

Kultur: Wie Klavierspielen im Dschungel

Spätestens seit Jane Champions Film "Das Piano" weiß man: Neuseeland liegt am Ende der Welt.Nicht nur geographisch ist es am weitesten vom Kunstraum Europa entfernt; eine ganze Generation neuseeländischer Nachkriegskunst scheint geprägt vom Diktat der Distanz.

Spätestens seit Jane Champions Film "Das Piano" weiß man: Neuseeland liegt am Ende der Welt.Nicht nur geographisch ist es am weitesten vom Kunstraum Europa entfernt; eine ganze Generation neuseeländischer Nachkriegskunst scheint geprägt vom Diktat der Distanz.Moderne Kunst aus Neuseeland, das ist so paradox wie Klavierspielen im Dschungel, wenn Reisen und Migration ungefähr das gleiche sind.Good Old Europe forderte lange Zeit ein klares entweder - oder: Anpassung an den "International Style" oder ästhetisches Schattendasein am anderen Ende der Welt.Daß dieses Dasein gar nicht so schattig war, zeigt sich zur Zeit auf schöne Weise im Kasseler Fridericianum.René Block, der seit längerem Fragen an die Peripherie richtet, hat auch in seiner aktuellen Ausstellung die künstlerische Produktion abseits des europäischen Paradigmas geortet.Seine Momentaufnahme zeitgenössischer Kunst aus dem pazifischen Subkontinent macht sich überzeugend daran, den Ansatz eines Kanons neuseeländischer Kunst zu erstellen, der das Spezifische aus dem Allgemeinen herausfiltert, ohne gleich in pittoreske Exotismen zu verfallen.

"Toi, toi, toi" (toi ist das Maori-Wort für Kunst) markiert in seinem emphatischen Dreifachbekenntnis insofern verschiedene Künstlergenerationen, die irgendwo zwischen Zentrum und Peripherie ihre eigene Version der Moderne entworfen haben.Klassiker wie die Filme des "Direct Cinema"-Pioniers Len Lye stehen neben dem politischen Aktionismus eines Bill Apple oder den Textil-Installationen Jacqueline Frasers, die die Maori-Kultur mit modernem Dior-Chic ins Jetzt befördert.Ein anderer noch zu entdeckender Maori-Künstler ist Ralph Hotere, dessen Objekte die lokale Ikonographie der heimischen Wellblechbauten mit den Chiffren moderner Abstraktion und das Schwarz der Bilder Ad Rheinhardts mit der konzeptuellen Schrift des Minimalismus verbinden.

Immer wieder begegnet einem diese Auseinandersetzung mit Schrift und Sprache, der Bilingualität von englisch und Maori.Den Anfang von "Toi, toi, toi" macht deshalb ein breiter Überblick über das Werk von Colin McCahon, der als Übervater eine Ästhetik schuf, an der sich die Künstler noch heute sichtbar abarbeiten.Schon seine frühen Landschaftsbilder präsentieren sich als reduzierte, zyklische Verdichtung schwarzer Quadrate, in denen sich monotone Geographie auflöst in abstrakter Geometrie.In den 60er und 70er Jahren beschäftigt sich McCahon mit den 14 Stationen des Kreuzwegs, die er allein als Zahlen darstellt, als mnemotechnische Anhaltspunkte im reinen Zeichenraum des Ikonoklasmus.McCahons religiöser Expressionismus beschränkt sich fortan puristisch auf das Existenzielle: Am Anfang war das Wort.Und dennoch: Als Repräsentation des Sagbaren im Sichtbaren erweisen sich seine grauen Bilder zwischen den Zeilen als avancierte Concept Art.

Peter Robinson bietet eine zeitgenössische Replik auf dieses bahnbrechende Werk, eine Comic-Version der Schriftbilder McCahons, in denen platte Parolen die Macht des Wortes an sich gerissen haben.Slogans bevölkern als Miniatur-Logos jetzt skulpturale Landschaften nach Modelleisenbahn-Prinzip und inszenieren als Pappaufsteller den verbalen Restmüll vom Märchen der kulturellen Identität.Das ist planvolles Anti-PC, doch Robinson beherrscht die Rolle des Wanderpredigers zwischen "angry young man" und globalisiertem TV-Junkie gut genug, um hinterrücks doch noch seinen kritischen Impetus loszuwerden.An die Außenfassade des Fridericianum hat er schon mal präventiv seinen Kommentar zur Musealisierung der nationalen Kulturgüter Neuseelands gehängt: "For Sale.Colonial Ldt."

Denn am Ende der Ausstellung taucht es natürlich doch noch auf, das Piano, und klimpert ganz für sich allein jene europäischen Avantgarde-Kompositionen, die eigentlich gar nicht zur instrumentalen Aufführung gedacht waren: Tinguelys Maschinenlärm als Klaviersonate, Fluxusgeräusche als Etüde für die linke Hand.Mike Stevensons "Slave-Piano" führt vor, wie die ewige Wiederkehr des Gleichen sich als Darstellung des gänzlich Anderen inszenieren läßt.Was so gesehen kein schlechter Beitrag zu jener Globalkultur aus weltbezogener Lokalperspektive ist, mit der sich Neuseelands Kunst selbstbewußt ins Zentrum der Peripherie zu rücken weiß.

Museum Fridericianum, Kassel, bis 5.April.Katalog 38 Mark.

VANESSA MÜLLER

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false