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Kultur: Wieder Worte

Lawrence Weiner, Großmeister der Konzeptkunst, zeigt Arbeiten in der Galerie Blain Southern.

Blendend weiße Wände. Elegante Leere. In der Galerie Blain Southern mit ihrer 40 Meter langen und 17 Meter hohen Halle erinnert nichts mehr an den Ort, an dem einst der Tagesspiegel gedruckt wurde. Fast nichts. Denn Lawrence Weiner holt die Erinnerung für einen Moment zurück. Abstrakt und in bewährt subtiler Manier scheint der frühere Maschinenraum in seiner Ausstellung „Concentricity per se“ mitgedacht. In den ausgeklügelten Bewegungen der raumbezogenen Installation, die laut Künstler, zur „Bühne für die Interaktion“ wird.

Auf dieser Bühne läuft ein Satz in deutscher Sprache über die gesamte linke Wand und das englische Pendant über die rechte. Schwarze Klebebuchstaben auf reflektierender Folie verkünden: Ring nach | Ring nach | Ring von | konzentrischen Gräben| in Erwartung | dessen | sie füllen wird. Die Worte schweben und hüpfen, überlappen sich in ihren Rechtecken, steigen stufenweise zur Decke an und fallen ab in „konzentrischen Gräben“. Mit einer schwungvollen Lineatur geht es dann wieder aufwärts „in Erwartung“. Eine grazil dynamische Wortskulptur, deren silbrige Felder die Besucher schemenhaft spiegeln. Um welche Gräben und welche Erwartung es konkret geht, bleibt dem Betrachter überlassen. Er ist Dreh- und Angelpunkt in Weiners Werk. „Die Menschen können es benutzen. Auf welche Weise, das entscheiden sie. Es ist egal, wie sie es finden, aber schon dass sie den Skulpturen Aufmerksamkeit schenken, verändert etwas“, sagt der Altmeister der Konzeptkunst.

Womit wir bei seiner „Declaration of Intent“ sind. Sie stammt von 1968 und hat bis heute nichts an Frische verloren: Der Künstler kann das Werk herstellen, es kann angefertigt werden, muss aber nicht ausgeführt zu werden. So kurz und bündig hat der in der Bronx geborene Autodidakt, der im Februar seinen 70. Geburtstag feierte, Kunstgeschichte geschrieben. Und wie der charmante Rebell mit dem langen, zum Zopf gebundenen Haar und Rauschebart nun in seiner Ausstellung sitzt, sich zwischendurch sehr herzlich bei einer jungen Frau für ihre Mitarbeit bedankt, ist es kaum vorstellbar, dass er zu Beginn der 1960er-Jahre der Kunst mit Dynamit beikommen wollte. Aber noch bevor Pierre Boulez anregte, die Opernhäuser in die Luft zu jagen, legte Weiner den Sprengstoff beiseite. Revolutionierte die Kunst mit seinen Wortskulpturen, seinen drei Statements und dem Zusatz: Jede Möglichkeit ist gleichwertig und entspricht der Absicht des Künstlers, die Entscheidung über die Ausführung liegt beim Empfänger zum Zeitpunkt des Empfangs.

Das war Zündstoff genug, und die Sprache wurde zum Medium des Künstlers mit Atelier in New York und einem Hausboot in Amsterdam. Der ureigene Werkstoff des Bildhauers, dessen luzide Sprachfunken stets aufs Hintersinnigste moduliert sind – ob in den weltweiten Museen und Galerien oder im öffentlichen Raum auf Fassaden, auf New Yorker Kanaldeckeln oder dem Wiener Flakturm. Rätselhafte Schriftgebilde mit Wiedererkennungseffekt. Mit ihrer klaren Typografie und den prägnant aphoristischen Gedankensplittern gehören sie längst zum Kunstkanon. Wurden prägend für nachfolgende Künstlergenerationen.

Lyrisch dichte Konstruktionen mit dem unverwechselbaren Weiner-Klang. Wie auch das dreifache „Die Mitte von“, das jüngst – seine mittlerweile vierte Documenta-Teilnahme – in der Rotunde des Fridericianums ebenso aus dem Zentrum gerückt war wie in luftiger Höhe auf einer Kasseler Hauswand. Einer Signatur bedarf es nicht. Anders als junge Künstler wie Tino Sehgal, der von seinen Performern stets genannt wird, zieht Weiner sich mit der gleichen Gelassenheit aus seinen Werken zurück, mit der er im Gespräch seine nächste Zigarette dreht. Es ist 15 Uhr. Er habe noch nicht gefrühstückt, entschuldigt er sich und erzählt von Aristoteles’ Parallelwelten, auf denen die aktuelle Documenta-Arbeit basiert. Bei dem Poeten unter den Konzeptualisten werden daraus Simultanwelten. Fundgruben seiner skulpturalen Freiheit, die den Worten und den Sinnen Flügel verleiht. „Wenn wir ein Pixel haben, ist das neutral. Aber zwei Pixel können sich ineinander verlieben und es entsteht eine neue Farbe“, so der Künstler mit den blitzblauen Augen. „Die Mitte von“ sei der konzentrische Punkt, an dem die Linien und Knoten zusammenlaufen. „Die Mitte von dem, was man sich selbst als Kontext setzt. Das ist Realität!“

So sehr Weiners Kunst im Kopf des Betrachters entsteht, lebt ihre Basis doch von materiellen Dingen. Von der Realität, mit der die Menschen seine Wortskulpturen sehen und erleben – egal ob sie staunend stehen bleiben oder schulterzuckend daran vorbeigehen. Jene Rezipienten aus dem Alltag und fern der Kunstkreise sind ihm ohnehin die Willkommensten. Menschen, die „zufällig neugierig auf das werden, was der Typ da macht“. Wie 2008 in Düsseldorf, wo anlässlich der Retrospektive im K21 die Sentenz „Eine Linie gezogen vom ersten Stern der Abenddämmerung bis zum letzten Stern der Morgendämmerung“ auf einer Straßenbahn durch die Stadt fuhr.

„Die Leute nehmen die Skulpturen mit“, sagt Weiner. Warum es denn auch kein Problem sei, dass die physisch realen Installationen am Ende einer Ausstellung zerstört werden. Verloren sind sie keinesfalls. Sie gehen nur in einen neuen Aggregatzustand über, lagern sich palimpsestartig auf den Wänden und in den Köpfen der Besucher ab. Aber die collagierten Zeichnungen in der oberen Galerie sind dauerhaft und lassen die Ideen des Künstlers nachvollziehbar werden. Wiederholt taucht da der Satz auf: Wenn die Sterne stillstehen, bewegt sich der Himmel. (Preise: 12 500-300 000 US-Dollar)

Blain|Southern, Potsdamer Straße 77-87; bis 3.11., Di–Sa 11–18 Uhr

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