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Kultur: Wiegeschritt

Eine Geschichte des Tanzes von Dorion Weickmann.

Von Sandra Luzina

Zu viel Körper-, zu wenig Kopfeinsatz, so lautet ein hartnäckiges Vorurteil über den Tanz. Andere halten diese Kunstform schlicht für „uncoolen Weiberkram“. Die Historikerin Dorion Weickmann, die als Kritikerin für die „Süddeutsche“ und „Die Zeit“ schreibt, rückt solchen Ressentiments in ihrem Buch „Tanz – die Muttersprache des Menschen“ auf den Leib, und zwar mit Verve. Der Tanz genießt kein besonders gutes Renommee, stellt die Autorin zunächst fest und macht sich zur Anwältin dieser art maudit, dieser verfemten Kunst. Dabei lässt sie profunde tanz- und kunsthistorische Kenntnisse einfließen – wobei ihr Enthusiasmus einfach ansteckend ist. Nicht wissenschaftlich spröde, sondern auf anschauliche und witzige Weise schreibt sie über die Entwicklung des Tanzes und seine Bedeutung.

Das Tanzen hat die Menschheit seit ihren überlieferten Anfängen begleitet. Bei ihrem Streifzug durch die Tanzgeschichte geht Weickmann weit zurück, bis in die Eiszeit. Es war der Archäologe Gerhard Bosinski, der in Gönnersdorf am Rhein Schiefertafeln mit gravierten Frauendarstellungen entdeckte – sie gelten als die frühesten Zeugnisse des Tanzes. Weickmann entführt den Leser danach in den Louvre oder auch ins British Museum, um darzulegen, welchen Stellenwert der Tanz auch in anderen frühen Kulturen hatte. Etwa im alten Ägypten, wo erstmals auch Götter und Regenten als tanzende Wesen auftreten.

Nicht nur die Museen hat die Autorin durchwandert, sondern auch die Labore der Hirnforscher besucht. Gerade die Neurowissenschaftler interessieren sich seit einigen Jahren für Tänzer, um besser erkunden zu können, wie Gehirn, Gedächtnis und Motorik ineinandergreifen. Tanzen heißt mit dem Körper denken, so bringt es Dorion Weickmann auf den Punkt – von wegen „Hüpfdohlen-Gaudi“. Neuere Befunde stützen außerdem ihre These, dass der Tanz die eigentliche Muttersprache des Menschen sei. Schließlich ging die Gestensprache der Entwicklung der Lautsprache voraus.

Allen Menschen wurde das Tanzen in die Wiege gelegt. Doch nur wer schon Wissen darüber mitbringt, kann eine zeitgenössische Tanzperformance auch genießen, meint Weickmann. Ein Buch als Aufforderung zum Tanz – und die Neuronen stimuliert es auch noch. Sandra Luzina

Dorion Weickmann: Tanz. Die Muttersprache des Menschen, Herbig-Verlag München, 272 S. 19,99 €

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