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Kultur: Wieviel Demokratie verträgt die Kultur, Frau Grütters und Herr Krüger?

THOMAS KRÜGER, 1959 in Thüringen geboren, studierte Theologie, war Mitbegründer der Ost-SPD und 1991-94 Berliner Jugendsenator; er saß 1994-98 im Bundestag und ist heute Vorsitzender des Fachausschusses Medien der Berliner SPD. MONIKA GRÜTTERS, 1962 in Münster geboren, studierte Germanistik und Geschichte, sie ist heute Sprecherin der Stiftung Brandenburger Tor der Bankgesellschaft Berlin und bildungspolitische Expertin der Berliner CDU.

THOMAS KRÜGER, 1959 in Thüringen geboren, studierte Theologie, war Mitbegründer der Ost-SPD und 1991-94 Berliner Jugendsenator; er saß 1994-98 im Bundestag und ist heute Vorsitzender des Fachausschusses Medien der Berliner SPD. MONIKA GRÜTTERS, 1962 in Münster geboren, studierte Germanistik und Geschichte, sie ist heute Sprecherin der Stiftung Brandenburger Tor der Bankgesellschaft Berlin und bildungspolitische Expertin der Berliner CDU. Mit Grütters und Krüger sprachen Peter von Becker und Moritz Müller-Wirth.

Sie sind von Ihren Parteien, CDU und SPD, bei der Aufstellung der Kandidatenlisten für die Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus beide nicht berücksichtigt worden. Gibt es heute in Berlin zu viele engagierte, junge, politische Talente?

GRÜTTERS: (lacht) Das wäre eine überraschende Erkenntnis! Nein, bei den Auswahlverfahren in beiden großen Parteien stehen leider nicht strategische, sondern persönliche, an bezirklichen Strukturen orientierte Kriterien im Vordergrund. Was fehlt, sind Landeslisten, mit denen, ergänzend zu den Vorschlägen der bezirklichen Gremien, geeignete Kandidaten von der Parteiführung ins Parlament gebracht werden können.

KRÜGER: Beide Parteien stehen vor demselben Problem. Die bezirkliche Einbindung spielt eine entscheidende Rolle. Das spürt, wer wie ich den Bezirk wechselt und nicht sofort miteingebunden wird. Das muß man zur Kenntnis nehmen - und sich in der Partei andere Wege zur Profilierung suchen. In jedem Fall werden jedoch wichtige personelle Ressourcen verschenkt. . .

GRÜTTERS: Verhindern könnten dies nur starke Führungspersönlichkeiten innerhalb der Parteien, indem sie unkonventionelle Ideen oder Politiker, die für diese Ideen stehen, innerparteilich durchsetzen.

KRÜGER: Die politischen Leader dieser Stadt müssen darauf achten, daß nicht in bestimmten Sektoren die Fachkompetenz abhanden kommt. Dies gilt auch für unsere Felder, die Kultur,- Wissenschafts- und Medienpolitik. Da werden in den Bezirken Listenplätze vergeben, und plötzlich stellt man fest: Hoppla, die wichtigen Felder sind inhaltlich gar nicht mehr besetzt!

Also ein Rat der Weisen anstelle innerparteilicher Demokratie?

KRÜGER: Die innerparteiliche Demokratie muß unter allen Umständen erhalten werden. Sie darf nur nicht dazu führen, daß Modernität demokratisch vor der Tür bleibt.

GRÜTTERS: Auch mir fehlt, gerade in der Union, ein deutlicher Bezug zur Moderne. Unsere Gremien sind weitgehend besetzt mit Leuten, die ein eher traditionelles Kulturverständnis haben. Wir müssen uns aber, wenn wir nicht völlig abgehängt werden wollen, der Moderne stellen. Deshalb müssen in den Parteistrukturen auch jüngere Menschen mit zum Zuge kommen. Das ist im Interesse der Stadt, die ja ihr Renommee nicht mehr aus den Traditionen der zwanziger Jahre bezieht, sondern daran gemessen wird, wie sie sich der Jetztzeit stellt.

KRÜGER: Berlin liegt im kulturellen Bereich noch zu großen Teilen in den Fesseln der Besitzstandswahrer. Das bedeutet ein Stück Lähmung und Tempoverlust für diejenigen, die für eine zukunftsorientierte Kulturpolitik mit Visionen stehen.

Visionen, Modernität, Dynamik: Das erinnert auch an Festtagsreden. Was müßte konkret passieren?

KRÜGER: In Ordnung, streichen wir das Wort "Visionen".

GRÜTTERS: Konkret muß zum Beispiel das Stiftungsrecht, soweit es Ländersache ist, reformiert werden, damit privaten Geldgebern ein stärkererAnreiz geboten wird, sich in der Kultur zu engagieren.

Auch mit dieser Forderung ist kein Originalitätspreis zu gewinnen.

GRÜTTERS: Trotzdem muß man wissen: In Berlin dauert die Prüfung einer Stiftungssatzung drei Monate, in München fünf Tage. Ein anderer Punkt wäre die Schaffung von Fonds, aus denen heraus freie Künstler gefördert werden, die es ja bei Mittelstreichungen immer als erste trifft.

Wo soll das Geld für solche Fonds herkommen?

KRÜGER: Solche Fonds, die mit ihrem Projektcharakter viel flexibler als Institutionen sind, können sich nur im Streit um Mittel behaupten, die dann logischerweise an anderer Stelle gestrichen werden müssen. Wir brauchen diesen Streit und den Mut von Leuten, die bereit sind, sich für diese Fond-Ideen einzusetzen, im übrigen nicht nur im Bereich der Bildenden Kunst, sondern in allen Bereichen, bis hin ins Feld der Jugendkultur. Allerdings muß die Bildende Kunst schwerer gewichtet werden. Sie ist in Berlin in den letzten Jahren zu einem außerordentlich dynamischen Feld geworden. Die Rahmenbedingungen für diese Szene müssen verbessert werden. Neben ambitionierten Projekten wie der Kunst-Messe, ceterum censeo und Aktivitäten des Büros Friedrich ist die Berlin-Biennale ein erfolgreiches Beispiel.

Ein PR-Erfolg, doch nach Meinung von Fachleuten ein künstlerisches Desaster.

KRÜGER: Das war ein Rave, eine Love-Parade der Bildenden Kunst, ein Schaulaufen derjenigen, die in den letzten Jahren hier aktiv waren. Man sollte nicht zu hart gegenüber der Biennale sein. Kommunikativ und als Plattform war das eine wichtige Geschichte, selbst, wenn sie ästhetisch hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist.

GRÜTTERS: Die Biennale war ein Wagnis und als Wagnis gelungen. Bei der Frage nach inhaltlicher Qualität geht es immer auch um Leitungsfragen.

Wie meinen Sie das?

GRÜTTERS: Ich lasse das jetzt mal so im Raum stehen.

KRÜGER: Die Biennale-Leiter, die ja wie Klaus Biesenbach auch für eigene Institutionen zuständig sind, haben sich möglicherweise selbst überfordert.

GRÜTTERS: Sie haben im Vorfeld sehr hohe Erwartungen geweckt.

Auch in einem anderen Punkt wurden hohe Erwartungen geweckt. Durch die Verdoppelung der Bundesmittel für die Berliner Kultur auf 120 Millionen Mark sieht sich schon mancher Hauptstadtkulturpolitiker aller Sorgen ledig.

KRÜGER: Die Erwartungen sind durchaus berechtigt. Hier liegt eine ganz große Chance für Berlin und für die Berliner Kulturpolitik. Mit dem Regierungswechsel gilt: Der Bund möchte sich weitgehend heraushalten aus der Institutionenauswahl. Er erhöht sein Engagement in den Bereichen, wo er sich ohnehin schon beteiligt, Stichwort Festspiele GmbH, und überläßt es den Berlinern, den entstehenden finanziellen Spielraum selbständig zu nutzen.

Bedeutet mehr Selbständigkeit schon mehr Kompetenz in der Berliner Kulturpolitik?

GRÜTTERS: Noch ist nicht geklärt, wer diese Dinge dann entscheidet.

KRÜGER: Bei aller Unzulänglicheit bleibt es eine riesige Chance, die durch die Verfassung garantierte Kulturhoheit der Länder zu wahren und trotzdem über mehr Mittel zu verfügen.

GRÜTTERS: Das ist doch das mindeste, daß der Bundestagshaushaltsausschuß sich nicht auch noch anmaßt, inhaltlich die Berliner Kultur mitzugestalten.

KRÜGER: Das war bisher anders. Welche Institution als förderungswürdig galt, das haben der frühere Innenminister Kanther und Staatsminister Pfeiffer mitbestimmt.

GRÜTTERS: Aber es war auch eine Berliner Sache.

KRÜGER: Jedenfalls sollte Berlin dankbar für diesen neuen Spielraum sein.

Wer Spielraum hat, muß ihn aber auszufüllen wissen.

KRÜGER: Hier genau liegt die Herausforderung an die Berliner Kulturpolitik in der nächsten Legislatur: in der Revitalisierung der Kulturlandschaft, und nicht im kleinmütigen Bedienen alter Besitzstände.

Wer entscheidet, was vital ist, was der Revitalisierung bedarf?

GRÜTTERS: Auf jeden Fall sollten die Künstler selbst in den Entscheidungsprozeß miteingebunden werden. Dabei fällt der Akademie der Künste als beratendem Organ eine wichtige Rolle zu.

Nicht alles, was jung und dynamisch ist, hat schon Qualität. Die Eingriffe müssen wohl auch an anderer Stelle einsetzen. Nehmen wir als Beispiel die drei Berliner Opernhäuser. Seit Jahren gibt es da künstlerische Stagnation und eine personelle Verfilzung bis in den semi-korrupten Bereich.

GRÜTTERS: Das wissen wir.

Dafür, daß es bekannt ist, wird aber wenig getan, um Abhilfe zu schaffen.

GRÜTTERS: Sowohl die Komische Oper als auch die Deutsche Oper und in Bälde wohl auch die Staatsoper bedürfen massiver struktureller Veränderungen. Die Berufungen von Udo Zimmermann an die Deutsche und von Andreas Homoki an die Komische Oper sind gute Signale. Daß über die Straße hinweg der eine Intendant im anderen Haus inszeniert, finde ich anstößig. Daß familiäre Verbindungen in beiden Häusern ausführlich genutzt und gefördert werden, finde ich ebenfalls anstößig.

Auch im dritten Haus, der Staatsoper.

GRÜTTERS: Es muß uns nachdenklich stimmen, daß diese Dinge keineswegs vertragswidrig, sondern im Gegenteil vertragskonform sind. Deshalb sollten in künftigen Intendantenverträgen bestimmte Formen der Selbstbedienung untersagt werden. Da ist jetzt schon einiges in Bewegung gekommen.

KRÜGER: Es ist die Aufgabe der Politik, solche Anstößigkeiten zu bekämpfen. Hier ist Politik gefordert, selbst wenn das durch Verträge abgesichert ist. Durch öffentlichen Diskurs muß dagegen Front gemacht werden.

GRÜTTERS: Diese Vereinbarungen mit ihren Zugeständnissen waren eine alte West-Berliner Masche.

Was es nicht besser macht.

KRÜGER: Dann muß das alte West-Berliner Denken eben durchbrochen werden, Vertrag hin, Vertrag her. Das ist eine primäre Aufgabe der Politik, und nicht inhaltliche Trends zu setzen oder ästhethische Urteile zu fällen.

Wäre es nicht für den öffentlichen Diskurs im Gegenteil nötig, daß Kulturpolitiker sich auch inhaltlich äußern, um damit Kriterien der Förderungswürdigkeit von Kulturinstitutionen transparenter zu machen?

GRÜTTERS: Wenn sich Kulturpolitiker inhaltlich äußern, wird ihnen vorgehalten, sie würden sich illegitimerweise in Belange einmischen, von denen sie nichts verstünden. Im übrigen könnten, heißt es oft, ästhethische Entscheidungen nicht demokratisch gefällt werden. Ich allerdings erwarte von einem Kulturpolitiker, wenn er kompetent ist, daß er sich inhaltlich äußert. Das "Wenn" muß dabei aber sehr stark betont werden.

KRÜGER: Natürlich müssen sich Kulturpolitiker inhaltlich äußern dürfen. Allerdings nicht im luftleeren Raum, sondern immer in einem Diskurs. In diesem Diskurs ist die Kulturpolitik gefordert, sich einzubringen, zu provozieren, aber auch sich provozieren zu lassen. Erst wenn die Politik borniert auf ihrer Meinung bestehen würde, dann wäre die Freiheit der Kunst gefährdet. Wer sich inhaltlich einmischt, muß immer bereit sein, den eigenen Standpunkt zu überprüfen.

Kommen wir zurück auf die Ausgangsfrage: Wer soll beurteilen, wofür das zusätzliche Geld ausgegeben werden soll? Warum werden beispielsweise die Opernhäuser nicht endlich einmal qualitativ evaluiert, so wie das in Berlin im Privat-Theaterbereich bereits geschehen ist?

GRÜTTERS: Nach welchen Kriterien? Etwa das der Auslastung, die damals als Begründung zur Schließung des Schiller-Theaters herangezogen wurde?

Gutes Beispiel. Beim Schiller-Theater wurden neben Sparzwängen auch künstlerische Unzulänglichkeiten als Schließungs-Grund angeführt.

KRÜGER: Aus meiner Sicht ist eine Evaluation der großen Opernhäuser dringend notwendig. Wenn man seinen Platz in der Angebotslandschaft nicht mehr genau definieren kann, dann muß darüber nachgedacht werden,in welche Richtung das Profil weiterentwickelt werden soll.

Ihr Vertrauen in die politische Klasse Berlins scheint im Prinzip unerschütterlich . .

KRÜGER: Ich bleibe bei meiner Kritik, aber ich hoffe einfach, daß die Berliner Kulturpolitik der kommenden Legislaturperiode nicht einen Rückfall in alten Ost-Berliner oder West-Berliner Subventionismus und Institutionalismus mit sich bringt. Dann darf man sich nicht wundern, wenn von Bundesseite der Geldhahn zugedreht wird.

GRÜTTERS: Ich vertraue da ganz dem freien Spiel der Kräfte. Wenn Leute wie Claus Peymann, Udo Zimmermann oder Frank Castorf miteinander verantwortungsbewußt um ihre künstlerische Position ringen, kompetent begleitet von einer wachsamen Öffentlichkeit und Institutionen wie der Akademie der Künste, dann hat die Kulturstadt Berlin eine gute Chance.

Was aber nützt das freie Spiel der Kräfte, wenn durch einsamen Ratschluß Entscheidungen wie zuletzt bei der Nominierung eines Intendanten für das Deutsche Theater fallen?

GRÜTTERS: Intendanten der Klasse, wie sie ans Deutsche Theater gehörten, gibt es nicht wie Sand am Meer. Vielleicht ist deshalb die gesamte Intendantensuche von den Verantwortlichen in der Kulturverwaltung nicht gerade meisterhaft gehandhabt worden.

KRÜGER: Der richtige Mann für das Maxim Gorki Theater muß noch lange nicht der richtige Mann für das Deutsche Theater sein. Mir haben sich die kulturpolitischen Kriterien für Radunskis Personalentscheidungen bisher nicht erschlossen. Die Geste des Augenzwinkerns jedenfalls ist politischer Provinzialismus. Ich halte es für taktlos, dem Talent Wilms und dem renommierten DT im Grunde nur noch einen Ausweg zu lassen: den gnadenlosen Erfolg.

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