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Kultur: Wieviel "Falstaff" braucht das Land?

Claudio Abbado hat an der Berliner Lindenoper zum ersten Mal "Falstaff" dirigiert.Das war schön.

Claudio Abbado hat an der Berliner Lindenoper zum ersten Mal "Falstaff" dirigiert.Das war schön.Aber angesichts der Repertoirepolitik der drei Opernhäuser erscheint diese Premiere als fragwürdigVON MANUEL BRUGEin Ereignis - für die Berliner Staatskapelle.Wohl noch nie seit der Wende hat man das Orchester in ähnlich guter Verfassung erlebt, wie in der "Falstaff"-Premiere der Lindenoper.Das Verdienst langer, intensiver Probenarbeit, in der immergleichen Besetzung.Was eigentlich selbstverständlich sein müßte, ist leider längst das Außergewöhnliche. Die köstlichen Geheimnisse aus Verdis komödiantischer Wundertüte, Altersweisheit und Witz, Sarkasmus, Blasphemie, Beweglichkeit und Forte-Frechheit, sie nahmen famose instrumentale Gestalt an.Streicher, gewitzt wie ein fliegender Teppich, der blitzschnell kehrtmachen und die Richtung wechseln kann, voll und reich gefärbt, immer präsent, im feinsten Flageolett, selbst im bukolisch zarten Pianissimo am Ende des fünften Bildes mit Leuchtkraft und Konturenklarheit.Lyrisch und wild kobolzende Holzbläser, den Triumph der Triole feiernd, pralles Blech, flink trillernd, mit knackigen Staccati, und volle Dröhnung gebend, wo der vorlaute Verdi darauf bestand.Durchsichtig ziseliert die Finalfuge, filigran die rhythmisch pulsierende Verschränkung, wenn Sechsachtel-und Zweihalbetakt miteinander spazieren gehen. Ein Genuß.Freilich keine irgendwie ausgefeilte Interpretation.Meisterlich dargebotener, luxuriös aufbereiteter Verdi, aber ohne individuelle Lesart dazu; keine freundliche, keine sarkastische, keine misanthropisch getrübte.Claudio Abbados allererstes "Falstaff"-Dirigat, zudem die erste szenische Opernproduktion des Chefdirigenten des Berliner Philharmonischen Orchesters in der Stadt - die stolzgeschwellte Staatsoper posaunte ihr jus primae noctis als wohlgelungene Haupt-und-Staatsaktion dementsprechend in die Lande - es war eine Enttäuschung auf hohem Niveau.Geschliffen gearbeitet, aber ohne den Eindruck von Müssen.Das hatte nicht die glamouröse Geilheit Bernsteins, noch die präziöse Melodik Karajans, weder die seiltänzerische Hetze Soltis und schon gar nicht rhythmisch entwickelte Variationsmechanik Toscaninis. Aber selbst wenn der an diesem Abend besonders demonstrativ heftig bejubelte Claudio Abbado das Werk neu erfunden hätte, einige Fragen drängt sich auf: Wieviel "Falstaff" braucht das Land, Berlin insbesondere? Können, wollen wir uns das leisten? Scheint es nicht frivol, in einer Zeit, in der die öffentlichen Kassen immer leerer werden, die Hochkultur ihr bisher so locker gehandhabtes Selbstverständnis und ihre Legitimation für breite Teile der Bevölkerung immer stärker behaupten muß, ausgerechnet auf der x-ten Reprise der immer gleichen Oper zu beharren? Es gibt mehr als 50 000 Musiktheaterwerke in den Archiven.Müssen da alle dieselben abnudeln? Sollen Berlins drei Opernhäuser als einmalige Chance der Geschichte diesen Reichtum offenbaren, auch ausgraben, oder sich im geistlosen Duplizieren und Triplizieren eines kleinkrämerisch eng gedachten Werkkanons erschöpfen? Wer interessiert sich für soviel unterschiedliche Interpretationen? Wer hat das Geld, sie zu vergleichen? Muß Berlin "Falstaff"-Weltmeister werden? Verdis herrliche Oper, gemeinhin eher als Kassengift bekannt, wurde 1977 von Götz Friedrich an der Deutschen Oper inszeniert.An der Komischen Oper brachte - deutsch gesungen - 1996 Andreas Homokis bilderkräftige, spielerisch theaterverliebte Inszenierung frischen Glanz auf die dort seit längerem durch Grünspan getrübten Kupfer-Bretter.Von Yakov Kreizberg außerdem ungleich zupackender und angriffslustiger dirigiert als nun von Abbado.An der Lindenoper hat das Werk Wolfgang Rennert gleich zweimal, 1977 und 1991, herausgebracht.Homokis und Friedrichs Inszenierungen sind nach wie vor im Repertoire.Letztere ist inzwischen angegraut, aber auch heute noch keinen Deut schlechter als an der Lindenoper jetzt Jonathan Millers Variante seiner Züricher Aufführung von 1993.Langweilig und ohne Originalität, in der Personenführung ohnen jeden griffigen, gar komischen Ansatz war dessen "Falstaff" schon dort.Standen in Zürich bereits holländische Gemälde - von Pieter Breughel - optisch Pate für Verdis Windsor-Welt, so hat sich in Berlin Herbert Kapplmüller bei Franz Hals, Pieter de Hooch, Jan Steen und ein wenig bei Vermeer bedient und eben deren Vorlagen laubsägen und auf Schleier pinseln lassen; wie auch die Sänger in ähnlichen, plüschig konventionellen Kostümen (Claire Mitchell) stecken. Alles ein wenig gekippt und im Wirtshaus zum Hosenbande durch einen Zerrspiegel gesehen.Verkehrte Welt, "casa di pazzi", ein Irrenhaus, wie es im wundervollen Text von Arrigo Boito heißt.Ganz nett ist das, repräsentativ, aber inkonsequent und kaum belebt.Für Hernes Eiche im Windsorwald blieb ein Gerümpelhaufen übrig, wenig erhellend, aber bestimmt nicht billig angeleuchtet von Max Keller, dem Osram-Guru der Münchner Kammerspiele. Nicht alles ist Spaß auf Erden.Das bittere Motto der Schlußfuge muß hier entschieden abgewandelt werden.Denn Claudio Abbado, der entscheidende Motor dieses fragwürdigen "Falstaffs", trägt auch Verantwortung in Berlin und kann daher selbst als Künstler nicht allein einer Privatlaune frönen, die da eben "Falstaff" heißt.Wenn er nicht auf so große Bereitwilligkeit bei der Staatsoper gestoßen wäre, hätte er das Stück doch eben konzertant in der Philharmonie dirigieren können - wie übrigens auch schon vor ihm Georg Solti - , etwa statt des kürzlich ohne Szene so verhungerten "Fierrabras".Dieser wiederum hätte der Lindenoper gut angestanden.Und in drei "Falstaff"-Konzerten hätte die gleiche Zuschauermenge Platz gefunden wie jetzt bei den sechs Vorstellungen Unter den Linden.Mehr nämlich wird Claudio Abbado nicht dirigieren. Wird dieser "Falstaff", wie es inzwischen Statsopern-Usus ist, in wahrscheinlich einigen Jahren erst wiederaufgenommen, dann singen vielleicht mehr festengagierte Mitglieder oder wenigstens regelmäßige Gäste des Hauses mit.Denn eine wirkliche Ensemble-Oper fast ausschließlich mit Sängern von außen zu besetzen, die noch nicht einmal in den Comprimarii-Partien wirklich überzeugen, während Ensemblemitglieder wie einst bei Karajan in Wien spazierengehen, auch das ist ein merkwürdiges Gebaren. Deshalb vielleicht findet der "Falstaff" - anderes wurde aus Geldmangel abgesagt - Mitte Februar (!) als erste der nur drei Opernpremieren der Lindenoper statt (wobei auch die zu erwartenden "Meistersinger" in Kupferscher Bauart wahrscheinlich nur eine, vornehm mit "Weiterentwicklung" umschriebene Neufassung der 1981er Inszenierung an der Komischen Oper sein werden ...).Das aber wird wohl manchen Besuchern dieser Premiere nicht bewußt gewesen sein.Man kann nur hoffen, daß ein solcher Abend keinen Vorgeschmack bietet auf eine leere Repräsentationsrolle der Lindenoper, sollte sie, was in Diskussion ist, künftig aus der Schatulle des Bundes alimentiert werden. Die sängerische Leistung von Ruggero Raimondi zu beurteilen verbietet sich, da der geschätzte Bariton mit einer schweren Indisposition zu kämpfen hatte.Doch ein wirklicher Komiker ist er nicht, höchstens ein Sardoniker für die mechanisch puppenhaften Rossini-Buffafiguren.Falstaffs Wärme, seine Verletztheit und gemütvolle Ruhe strahlt er nicht aus.Nur lange währende Grämlichkeit.Soile Isokoski war eine brave, aber keine frivole Alice.Den Spaß, ihren Mann zu betrügen, und sei es mit dem lächerlichen Ritter, den spürte man keine Sekunde.Marjana Lipov«sek als Quickly hat die ewigen Manierismen ihrer Salzburger Interpretation nicht abgelegt, chargiert nach wie vor, was das Zeug hält, anstatt mit der Stimme zu charakterisieren. Lucio Gallo sang den Ford flach und gleichförmig, ohne gestalterische Finessen, zumal in seiner wirkungsmächtigen Arie.Der Fenton von Marcello Alvarez war nichts als ein quäkiger Knödel-Tenorino, Bardolfo und Pistola (auch das Gäste!) klangen ebenso unzureichend.Dafür verteidigten vehement das an sich ansehnliche Lindenopern-Ensemble Dorothea Röschmann (Nanetta) und Katharina Kammerloher (Meg Page): die eine, als sei sie Vermeers Spitzenklöpplerin, mit zartem Legato und flirrender Laune, die andere in der undankbarsten Rolle der Opernliteratur als quicke Stichwortgeberin und luxurierende Füllstimme. Die Staatskapelle, deren Musiker sich übrigens immer noch mit Osttarifen begnügen müssen, hat von diesem "Falstaff" profitiert, immerhin.Die Opernkultur dieser Stadt als Vision der Vielfalt und des Verantwortungsbewußtseins, sie hat einmal mehr Schaden gelitten. Letzte Vorstellungen: 18., 21., 24.27.Februar, 2.März.

MANUEL BRUG

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