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Kultur: Wild ist wild

Fetting und Corinth: zwei Berliner in Wilhelmshaven

Wären Lovis Corinth (1858 – 1925) und Rainer Fetting (geb. 1949) sich in diesen Tagen in Berlin über den Weg gelaufen – die Maler hätten womöglich einiges zu bereden gehabt. Am Rande der kulturpolitischen Wetterkarte, in der Kunsthalle von Wilhelmshaven, treffen aus lokalen Gegebenheiten heraus nun zumindest ihre Werke aufeinander. „Wilde Malerei über die Zeit“ nennt Kunsthallenleiter Daniel Spanke seine Dialogausstellung.

Lovis Corinth, aus Königsberg in die Reichshauptstadt gekommen, hatte zu Beginn des letzten Jahrhunderts den zweifelhaften Ruf eines „gezähmten Hunnen“ erworben. Dennoch stand ihm 1917 Großadmiral Alfred von Tirpitz in seiner Privatwohnung Modell. Es entstand ein Gemälde, das den Militär als freundlichen, fast verletzlichen alten Herrn in Uniform zeigt. Tirpitz war zufrieden, die Reichsmarine lehnte den Ankauf aber ab. Kaum taugte das Bild zum Sinnbild für wilhelminischen Schneid. Die Stadt Wilhelmshaven zumindest verdankt Corinth mit dem 1904 entstandenen „Blinden Propheten“ das wertvollste Stück ihrer Gemäldesammlung.

Rainer Fetting hingegen wurde in Wilhelmshaven geboren, machte dort eine Tischlerlehre und volontierte an der Landesbühne Niedersachsen Nord, bevor er 1973 nach Berlin zog. Der Kreuzberger steht Rot-Grün nahe, steuerte für die Berliner SPD-Zentrale den Bronzekopf Willy Brandts bei. Doch verwendet er im Unterschied zu Corinth Uniform-Attribute etwa in seiner Serie von New Yorker Cops aus dem vergangenen Jahr nur mehr als dekoratives Element seiner expressiven Malerei.

Ohne lokalpatriotisch erzwungene Bezüge, aber mit vielfältigen Überschneidungspunkten sind für die Ausstellung auf engstem Raum praktisch zwei Museen entstanden. Für die sieben Ölgemälde Corinths im Goldrahmen aus verschiedenen Museen und Sammlungen Deutschlands wurden Teile der weißen Wände weinrot gestrichen. Der „Blinde Prophet“, den Spanke anhand französischer Vorbilder als rustikale Darstellung des Dichters Homer identifiziert, hängt neben einem farbig entfremdeten Porträt von Fettings Lieblingsmodell Desmond. Der Ähnlichkeit in der breiten Pinselführung beider Künstler steht ein ganz unterschiedlicher Farbgebrauch gegenüber – naturalistisch bei Corinth, verfremdet bei Fetting.

An anderer Stelle illustrieren Strandszenen Corinths aus Forte di Marni und von der Müritz und Wilhelmshavener Ansichten Fettings, dass sich in dem Jahrhundert zwischen ihrem Entstehen so viel nicht verändert hat. Gleichwohl ist der hier gewagte Dialog durchaus kein Zwangsbündnis. Vergleicht man, wie Corinth und Fetting Hände zeichnen, so könnte man glauben, sie reichten sie sich über ein Jahrhundert hinweg.

Kunsthalle Wilhelmshaven, bis 11.9., Katalog (Kerber Verlag, Bielefeld) 34,50 €.

Martin Wein

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