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Kultur: Willy quälen

„Demokratie: Das Deutsche Theater Berlin macht die Guillaume-Affäre zur Schlagerrevue.

Und am Saxofon: Horst Ehmke, seines Zeichens Chef des Bundeskanzleramts unter Willy Brandt von 1969 bis 1972. Doch jetzt, hier, im Deutschen Theater, vor den altgelben Retrovorhängen, die Jo Schramm ins Bühnenrund hat tackern lassen, gibt uns der streng gescheitelte Helmut Mooshammer Brandts rechte Hand nicht nur als Organisationsmädchen, sondern auch als Revuefigur für alles: als Saxofonspieler, Cancan-Tänzer und Schlagersänger. Ehmke und Brandt und Helmut Schmidt und natürlich Günter Guillaume, der Brandt für die Stasi bespitzelte – sie alle tragen immer ein Mikrofon griffbereit in der Jackettasche ihrer grauen oder beigen Retro-Anzüge und fangen gefühlt alle dreißig Sekunden an, einen Schlager zu schmettern.

Warum eigentlich? Wird hier nicht gerade das Stück „Demokratie“ des britischen Erfolgsautors Michael Frayn gegeben, in dem Brandts Kanzlerschaft nachgezeichnet wird, das Schaffen und Scheitern eines melancholischen Friedensvisionärs? Geht es hier nicht um große Politik und die Intrigenmechanik im Männerzirkel der Macht? Herbert Wehners Strippenzieherei, Helmut Schmidts nervöses Warten auf seine Chance. Brandts berühmtes Schweigen, seine Frauengeschichten, die Liebe zum Alkohol. Ist das nicht ein Königsdrama?

Warum steht dann Felix Goeser als Willy wie ein lässiger Conferencier an der Rampe und singt: „Für mich soll’s rote Rosen regnen“, während eine Kamerafrau seine Erscheinung auf diverse Videowände im Hintergrund vervielfältigt? Dumme Fragen. Dieser Abend ist von Jürgen Kuttner (und Tom Kühnel). Und Jürgen Kuttner arbeitet immer mit Video und Musik. Also auch hier.

Kuttners Arbeitsweise geht so: Im aus Trashflicken zusammengenähten Ironiedeckmäntelchen streunt er kichernd über die Bühne, bis er irgendwann Buhh! macht, den Mantel aufreißt und ein sehr aufgeregtes Aufklärertum präsentiert. In diesem Fall hält Kuttner einen erregten Monolog darüber, dass die Politik sich erst in Postpolitik verwandelt habe, inzwischen aber ganz verschwunden sei. Schlimm! Dann spielt er Sebastian Haffner ein, der sich schon vor vierzig Jahren über die Technokratenpolitiker ärgerte. Zu Bismarcks Zeiten war Politik noch anders, nämlich mit Schmackes.

Tatsächlich ist Kuttners Aufklärertum selbst ein Deckmäntelchen, unter dem sich eine rührend einfältige Sentimentalität verbirgt: Früher war nämlich alles besser. Und Willy Brandt kein tragischer Held, dafür aber ein Hero der Alltagskultur, groß und harmlos putzig zugleich. So schrumpfen Kuttner und Kühnel Willy und all die anderen, indem sie ihre Emotionen durch Chansons zu verstärken vorgeben, zu albernen Witzfiguren des Pop. Daniel Hoevels gibt den Spion Guillaume als hysterisierten Schleimer, Andreas Döhler Helmut Schmidt als wütendes HB-Männchen, nur Bernd Stempel, der Herbert Wehner ins eisig Monströse entrückt, umweht so etwas wie die Luft einer ernstzunehmenden Figur. Aber auch er hat die Hand am Mirko. Ja, und? Andreas Schäfer

wieder am 25. und 28.9. und am 6.10.

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