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Kultur: Windmühlen der Wissenschaft Besucherboom und erste Bilanz des Einstein-Jahrs

Vielleicht das kurioseste Dokument unter den vieltausend Schaustücken der weltweiten Einstein-Feierlichkeiten ist ein Brief des israelischen Postministers vom April 1955. Kaum war das schnauzbärtige, strubbelköpfige Genie im amerikanischen Princeton verschieden, wies der Minister seine Dienststellen an, in kürzester Zeit eine Einstein-Gedächtnismarke herauszugeben.

Vielleicht das kurioseste Dokument unter den vieltausend Schaustücken der weltweiten Einstein-Feierlichkeiten ist ein Brief des israelischen Postministers vom April 1955. Kaum war das schnauzbärtige, strubbelköpfige Genie im amerikanischen Princeton verschieden, wies der Minister seine Dienststellen an, in kürzester Zeit eine Einstein-Gedächtnismarke herauszugeben. Dem dürften keinesfalls die Amerikaner oder sonst eine Nation zuvorkommen. Ein paar Jahre davor hatten die Israelis dem säkularen jüdischen Wissenschaftler vergeblich das Amt des Staatspräsidenten angetragen. Der Brief des Postministers hängt nun in Tel Aviv in einer Ausstellung von bunten Einstein-Marken aus unzähligen Ländern.

50 Jahre nach seinem Tod und 100 Jahre nach der speziellen Relativitätstheorie ist das Doppeljubiläum des Mannes, der schon zu Lebzeiten zum ersten, auf allen Kontinenten gefeierten Weltbürger wurde, in Deutschland und der Schweiz so aufwendig wie nirgends sonst begangen worden. Berlin und Bern, wo der junge Einstein in seinem theorienreichen Wunderjahr, dem annus mirabilis für die moderne Physik, noch am Patentamt arbeitete, stehen dabei mit je einer Großausstellung an der Spitze – hier für sieben Millionen Euro, dort für ebenso viele Millionen Franken realisiert. Und das Echo ist enorm: Ins Berliner Kronprinzenpalais pilgern täglich etwa 1000 Besucher zu „Albert Einstein – Ingenieur des Universums“; seit Mitte Mai sind es über 50000, bis zum Finale der Schau Ende September erwartet man ungefähr 200000 Gäste.

Mit etwa 150000 Zuschauern rechnet das Historische Museum in Bern, wo „Albert Einstein“ ohne Untertitel seit Mitte Juni noch bis 17. April 2006 läuft. Auch im Deutschen Museum in München, dem besucherstärksten Haus in Deutschland, gibt es eine kleinere, weniger biographisch als technisch-wissenschaftlich angelegte Schau („Abenteuer der Erkenntnis. Albert Einstein und die Physik des 20. Jahrhunderts“); hier werden sich die täglich 1000 bis 1400 Neugierigen bis zum Schluss der achtmonatigen Präsentation am Jahresende auf knapp 300000 Gäste summieren. Und viele sind, nicht nur der Schulklassen wegen, sehr jung.

Ein Einstein-Spruch zur wahren Demokratie prangt auch am Berliner Kanzleramt. Angesichts dieser Einstein-Begeisterung jetzt Einsteins Skepsis gegenüber seinem Geburtsland, einst unter dem Eindruck von Hitlerei und Holocaust formuliert, ins Feld zu führen, wirkt denn doch wie eine kritische Pflichtübung (der Berlin-Brandenburger Akademie der Wissenschaften: in der jüngsten Ausgabe ihrer Zeitschrift „Gegenworte“). Interessanter ist, wie heute Ausstellungsmacher mit blinkenden Apparaturen, simulativen Projektionen und interaktiven Modulen so etwas Abstraktes wie physikalische Theorien zu versinnlichen suchen.

Einstein selbst kämpfte am Ende mit der Quantenphysik und der Suche nach einer universellen Weltformel ein bisschen wie Don Quichote – sein literarischer Lieblingsheld, übrigens gerade 400 Jahre alt geworden – mit den Windmühlenflügeln. Und wie Hightech-Mühlen, die wir für galaktische Ritter halten, erscheinen all die illusionären Installationen der Ausstellungen in Berlin, Bern und München. Die Faszination des Augenblicks ist da groß, aber was bleibt für Nicht-Naturwissenschaftler an tieferem Verständnis? Vielleicht ein weißeres Rauschen. Doch selbst dies wäre noch ein Schritt auf dem langen Weg zur „Third Culture“, dem Traum einer Wiederverbindung der Natur- und Kulturwissenschaften.

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