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Kultur: Wir haben die Erde nur geleast

Umweltschützer sind irre und kriminell, behauptet Michael Crichton in seinem Thriller „Welt in Angst“. Ein Öko-Test

Um mal gleich einige miserable Pointen dieses Buches zu verraten: Kriminelle Umweltschutzgruppe tötet Millionär und inszeniert Naturkatastrophen, um sich Spendengelder zu verschaffen. Erst wollen sie einen riesigen Eisberg absprengen – klappt nicht. Dann: ein plötzliches Unwetter, irgendwie mit vielen Blitzen. Sämtliche Helden (die der Organisation auf der Spur sind und die Anschläge zu sabotieren versuchen, die Guten also) überleben es, natürlich schwer angeschlagen. Am Ende müssen sie auf irgendeine Insel, weil da der letzte große Schlag geplant ist: ein Tsunami. Der verreckt aber nach gelungener Sabotage. Alles in allem passiert in dem Buch nichts außer einem ständigen Wechsel überhaupt nicht gezeichneter Schauplätze, daneben Schüsse, Giftmorde und schon gleich zum markanten Einstieg Sex mit einer nackten Killerin.

Die Personen in Michael Crichtons „Welt in Angst“ haben zwar Namen, sind aber überhaupt keine Personen, sondern eigentlich gar nicht vorhanden. Sie haben weder eine wirkliche Vita noch eine Psyche, und sie reden so: „Du hast mich enttäuscht, Henry“, sagte Kenner. „Erschieß mich nicht, John.“ „Noch nicht“, sagte Kenner und stieß ihn jäh nach draußen ... „John! John! Bitte!“ „Tut mir leid, Henry.“

Ich habe überhaupt noch nie einen amerikanischen Bestsellerroman gelesen. Nein, das ist nicht ganz richtig. Neulich hat mir ein Verlagsleiter einen Megaseller in die Hand gedrückt: Dan Brown, „Sakrileg“, so hieß er, glaube ich. Ich habe ganz ernsthaft versucht, dieses Buch zu lesen, in einem ICE. Ich kam über die ersten eineinhalb Seiten nicht hinaus. Als der ICE in den Frankfurter Hauptbahnhof einfuhr, hielt ich beim Aussteigen dieses Dan-Brown-Buch hoch und rief: Will hier irgend jemand dieses Buch haben, ich brauche es nicht. Die Reaktion war eindeutig. Alle wollten es haben.

In der Bahnhofsbuchhandlung wurde mir dann erst bewusst, was ich eben verschenkt hatte. Dort lagen Hunderte Exemplare dieses Buchs als Stapelware. Die meisten Menschen halten offenbar einiges für sehr spannend und interessant, was ich überhaupt nicht für spannend und interessant halte. Ich finde zum Beispiel den „Stopfkuchen“ von Wilhelm Raabe (19. Jahrhundert!) sehr interessant, ja, und spannend auch.

So, nun aber zu etwas komplett anderem. Es gibt nämlich noch einen weiteren Aspekt bei dem Buch von Michael Crichton. Dieser Aspekt wird zu großen Diskussionen führen. Das Buch hat eine Grundthese, die immer wieder durchgekaut wird. Nämlich, dass die Erdatmosphäre sich gar nicht, wie wir angeblich alle glauben, durch CO2 erwärmt. Oder dass das zumindest wissenschaftlich nicht belegt ist. Dass es da widerstreitende Meinungen gibt. Dass es da einen Unterschied zwischen den Wissenschaftlern und den Meinungen der Öffentlichkeit gibt.

Also kurz, dass uns da wer Angst machen will. Gruppen. Organisationen. Wir leben bekanntlich in einem sehr spekulativen Zeitalter. Die Öffentlichkeit ist eine Form des kollektiven Schwachsinns, jaja, aber ist das so neu? Wir diskutieren Fragen wie: Ist Milch zum Frühstück schädlich oder nicht. Im Fernsehen wird das diskutiert. Eieiei! War die Schulmilch in den Siebzigerjahren Massenmord? Ich ein Opfer? Ich bin ja in den Siebzigerjahren zur Schule gegangen, musste Milch trinken!

Was Medien zum Für und Wider von anthropogener Erderwärmung berichten, gehört in dieselbe Kategorie. Sie werden stets Wissenschaftler finden, die (anderes Beispiel) für die Kernenergie plädieren, und welche, die dagegen plädieren. Sie werden welche finden, die für Hindernisse in Tempo-30-Zonen plädieren, und welche, die strikt dagegen sind. Oder allein das Pro und Contra hinsichtlich der Tempo-30-Zonen selbst! Crichtons Buch würde künstlerisch übrigens weder etwas gewinnen noch verlieren, wenn es die Gegenthese vertreten würde: Ein Roman, der mir unbedingt weiß machen will, dass sich die Atmosphäre unserer Erde garantiert, unbedingt und nachweislich durch CO2-Ausstoß erwärmt, wäre ebenso wenig ergötzlich. Die einen behaupten dies, die anderen das, das ist das Wesen der Wissenschaft.

Es gibt in Crichtons Buch einen Mann, der mich an Leute aus meiner Schulzeit erinnert, die immer hellwach waren, sich quellenorientiert gaben und sich mit Napoleon oder Hitlers Russlandfeldzug gut auskannten. Da hat man lieber kein Wort gesagt. Die wussten alles sehr viel besser und sehr viel genauer. Der Mann im Buch heißt Kenner und kennt sich sehr gut mit globaler Erwärmung (bzw. Nichterwärmung) aus. Die anderen, die „Angst“ vor Erwärmung haben, sind allesamt Deppen (werden dann teilweise sogar von Kannibalen aufgefressen, nachdem sie für ein „Leben mit der Natur“ plädiert haben).

Kenner sagt dauernd Sätze wie: Aber Ted, wissen Sie das wirklich? Ted, haben Sie Belege für das, was Sie da gerade sagen? Ted, können Sie mir einen Forscher liefern, der Ihre These unterstützt? Ted, wie viele Gletscher gibt es auf der Erde? Ted, was wissen Sie über Wärmeentwicklung in Städten? (Ted ist der, der später verspeist wird.)

Und Kenner verwendet das ärgerlichste aller „Gegenargumente“. Er fragt die selbsternannten Umweltschützer ständig, welche Autos sie fahren, wieviel Wohnraum sie vergeuden, ob sie Privatjets haben (sie fliegen bei Crichton dauernd mit Privatjets). Ted, Sie fahren ein Soundsoviel-Liter-Auto und wollen den Leuten in der Dritten Welt vorschreiben, wie sie zu leben haben und wie nicht? Ja, das Argument ist ebenso schlüssig wie bündig. Die meisten Leute beginnen es etwa mit zwölf Jahren zu verwenden. Es führt, wie alles, zu gar nichts. Man kann den Fernseher ausschalten, man kann ihn sogar wegwerfen. Man kann den „Stopfkuchen“ lesen. Ja, man kann ihn lesen und sich im Wendland in aller Ruhe und Gemütlichkeit auf die Transportstrecke setzen, wenn die Castoren kommen. Da hat man viel Zeit.

Ted, was wissen Sie über Atommüll? Ted, haben Sie wirklich einen wissenschaftlichen Beleg dafür, dass unsere Endlagergestaltung unsicher ist? Ted, wollen Sie den Leuten wirklich vorschreiben, ob sie diesen Müll produzieren oder nicht, wenn diese Leute die Lagerung für sicher halten? Ted, haben Sie einen Stromanschluss? Ted, leben Sie in hunderttausend Jahren noch? Nein? Also, Ted, von was reden Sie eigentlich?

Andreas Maier, 1967 geboren, lebt als Schriftsteller in Frankfurt a. M. Für seinen Roman „Wäldchestag“ erhielt er u.a. den „aspekte“-Literaturpreis 2000. Ende Februar erscheint bei Suhrkamp sein drittes Buch „Kirillow“, ein Roman über die Ökobewegung. – Michael Crichtons „Welt in Angst“ ist, übersetzt von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann, im Münchner Blessing Verlag erschienen (608 S., 24,90 €.)

Andreas Maier

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