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Kultur: Wir müssen miteinander reden

Was tun, wenn der Lack der neuen Lockerheit ab ist? Zu den neuesten Klimastörungen bei der Berlinale

Von Jan Schulz-Ojala

Sie klingen nicht gut, die Nachrichten, die da im tiefen Sommer - sonst berlinalefremdeste Saison - von Berlins strahlendstem Festival kommen. Und sie passen auch schlecht zum Image der Offenheit und Spontaneität, das mit dem neuen Chef Dieter Kosslick im Februar eingezogen zu sein schien. Kurioserweise aber scheint eben jener Dieter Kosslick, einst als Leiter der reichsten deutschen Filmförderung in Nordrhein-Westfalen vielgeherzter Tausendsassa der Branche, für den Klimasturz verantwortlich zu sein. Nun gut, vielleicht nicht mit Aplomb. Aber atmosphärisch – und vor allem: nachhaltig.

Was ist geschehen? Binnen zehn Tagen wurden die Kündigungen zweier langjähriger Mitarbeiter publik, die Stelle dem Festival unverwechselbares Profil gegeben haben: Erst warf Wolfgang Jacobsen das Handtuch – seit 1990 Leiter der renommierten Retrospektiven, die die Berlinale zusammen mit der Stiftung Deutsche Kinemathek veranstaltet.

Mitte August hieß es dann, Renate Zylla, seit 16 Jahren Chefin des Kinderfilmfestes, habe bereits zwei Wochen zuvor gekündigt – kurz vor einem Kanada-Urlaub. Mögliche Begründungen, beide demissionierten auch wegen bevorstehender Kürzungen ihrer Etats, dementierte Kosslick sogleich. Was also dann veranlasst zwei „Säulen“ des Festivals, so lautlos wie möglich wegzubrechen?

„Nichtkommunikation“: Auf diesen Begriff bringt es die gelernte Medienpädagogin Renate Zylla, seit kurzem wieder in Berlin und fest entschlossen, andernorts in der Kinderfilm-Branche weiterzumachen. „Nichtkommunikation“ gerade des nach außen sich als großer Kommunikator gebenden Kosslick? Im April, als ihr üblicher Halbjahresvertrag auslief, habe er ihr zwar beiläufig das Weitermachen zugesichert. Nur die Bedingungen, die seien, sagt sie, „ungewiss“ gewesen. Und als sie aus zuverlässiger Quelle erfahren habe, dass ihr eigenes, nicht eben üppiges Honorar gekürzt werden sollte, habe Kosslick auf Terminbitten, Faxe, Briefe nicht geantwortet. „Wenn erst nach der Kündigung das Gespräch gesucht wird“, erinnert sie sich an Kosslicks Terminvorschlag kurz vor ihrer Abreise, „dann ist das doch krank.“

Auch Wolfgang Jacobsen, der nach eigener Einschätzung um der Sache willen schon mal sehr stur werden kann, macht seine etwas diskretere Demission – er bleibt der Stiftung Deutsche Kinemathek erhalten, deren Chef Hans-Helmut Prinzler ihn nun als Organisator der Retrospektive ablöst – direkt an Kosslick fest. „Unsere beiden Temperamente sind nicht miteinander vereinbar“, sagt er – und stellt damit die eigene Entschiedenheit gegen einen nach außen gerichteten Charakter, der Zustimmung verlangt, gewinnt und dann auch sichtbar genießt. Und wenn Konflikte drohen? „Wir müssen miteinander reden“, sei Kosslicks geflügelte Formel in solchen Fällen gewesen, sagt Zylla. Nur dass man dann, anders als in den nicht minder turbulenten Zeiten von Kosslick-Vorgänger Moritz de Hadeln, eben gerade nicht miteinander geredet habe.

Doch, auch dies ein gemeinsamer Befund, der charismatische Zampano vergraulte die erfahrenen Fachleute nicht allein durch sein Temperament. Beide beklagen, Kosslick habe sie massiv gehindert, gezielt an ihre Reihen gebundene Sponsorenmittel einzuwerben – und das in Zeiten immer knapperer Subventionen. Renate Zylla etwa war stolz, von Disney Channel rund 10000 Euro für die Flugtickets von Kinderdarstellern locker gemacht zu haben. Jacobsen wiederum hatte die finanzielle Zusammenarbeit mit Studio Universal, arte und 3sat über Jahre vorangetrieben. „Ich brauchte Partner, die zur Retro passen“, sagt er, und auch die Partner seien ausschließlich am Retro-Label interessiert gewesen. Berlinale-Boss Kosslick aber habe, mit dem fördernden – und fordernden – Hauptsponsor Premiere World im Rücken, etwa im Fall von Studio Universal die Forderungen so hochgeschraubt, dass der Kooperation scheiterte. Auch 3sat sei für die nächste Retro „verloren“ – und so habe man das Doppel-Programm, das ursprünglich Murnau und Dreyer gewidmet war, auf Murnau reduzieren müssen.

Wohin treibt die Berlinale? Mag sein, dass derlei personelle Abschürfungen unter neuer Regie normal sind, mag sein, dass sie den Weg freimachen für frische Impulse – und doch verstören die Umstände, unter denen sie sich vollziehen. Wie glückhaft ist das Zusammenarbeiten mit einem Chef, der zwar an den Inhalten einstweilen nicht herumredet, andere Spielräume aber offenbar ohne Fingerspitzengefühl einengt? Und auf welches Bild wird sich die Berlinale fokussieren, wenn der Lack der neuen Lockerheit niemanden mehr blendet?

Nun ist Kosslick selbst in Urlaub. „Wir müssen miteinander reden“, aber wir können es nicht. Aus seinem Haus ist einstweilen zu hören, Renate Zyllas Nachfolgerin – oder Nachfolger – werde Mitte September bekannt gegeben. Verblüffend zügig – fast so, als hätte man längst eine Alternative in petto. Andererseits: notwendig zügig auch. Denn für die Planung der nächsten Berlinale, da täuscht die Sommerruhe, wird die Zeit schon knapp.

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