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Kultur: Wir sehen uns

Es gibt nur wenig, was paranoide US-Amerikaner wie die "Freemen" in Montana der Regierung in Washington nicht zutrauen.Daß die gelobte Neue Welt an die UNO verkauft wird zum Beispiel.

Es gibt nur wenig, was paranoide US-Amerikaner wie die "Freemen" in Montana der Regierung in Washington nicht zutrauen.Daß die gelobte Neue Welt an die UNO verkauft wird zum Beispiel.Daß täglich mißliebige, freiheitsliebende Amerikaner verfolgt, überwacht und neutralisiert werden.Diese Ängste und Verschwörungstheorien bedient Tony Scotts neuer Film "Der Staatsfeind Nr.1" und hat deshalb beste Chancen, zum "Freeman"-Kultfilm Nr.1 zu werden.

Ohne es zu wissen, hat der Anwalt Robert Clayton Dean (Will Smith) plötzlich den Beweis, daß ein Kongreßabgeordneter nicht auf natürlichem Wege ins Jenseits gegangen ist.Der Abgeordnete war Gegner einer Gesetzesvorlage, die den totalen Lausch- und Spähangriff erlauben will.Der mächtigste US-Geheimdienst, die National Security Agency (NSA), kann zwar das Gesetz, nicht aber Zeugen gebrauchen.Dean wird zum Zielobjekt einer gnadenlosen Jagd, bei der der Mensch nur zählt, wenn er ausgefeilte Überwachungstechniken bedient.Jeder Schritt Deans wird überwacht, seine Kredit- und Glaubwürdigkeit vernichtet.Als er völlig aufgerieben ist, trifft er Brill (Gene Hackman), einen kauzigen ehemaligen NSA-Agenten.Die beiden beginnen, die NSA mit deren Mitteln zu bekämpfen.

Das klingt nach einem weiteren routinierten Action-Thriller.Vordergründig trifft das zu.Der Film nimmt das Thema Überwachung auf, an dem sich letztes Jahr Wim Wenders mit "Am Ende der Gewalt" versucht hat, wird aber ein Vielfaches an Zuschauern in die Kinos ziehen.Regisseur Tony Scott ("Top Gun", "Last Boy Scout") und Produzent Jerry Bruckheimer ("Top Gun", "The Rock", "Armageddon") wissen, was publikumswirksam ist und führen den Film überdies zu einem ziemlich amüsanten Ende.Darüber hinaus gibt es einiges, was den Film über Durchschnittsniveau hievt.Zum einen ist es eine Freude, Gene Hackman als ehemaligen NSA-Abhörspezialisten zu sehen.Und das fast ein Vierteljahrhundert, nachdem er als paranoid gewordener Abhör-Experte in Francis Ford Coppolas "The Conversation" in einer auf der Suche nach Wanzen verwüsteten Wohnung saß.Auch wegen Will Smith und der leider viel zu selten im Kino auftauchenden Lisa Bonet ("Angel Heart"), der rätselhaften Freundin Deans, lohnt der Kinobesuch.Zum anderen beeindruckt die Darstellung der totalen technischen Überwachung.Zwar müßte sicher nicht mehrmals gezeigt werden, wie der Überwachungssatellit die Erde umkreist.Auch daß alle Kameras in Supermärkten oder Tunnels mit einem Zentralrechner verbunden sind und gestochen scharfe Detailbilder liefern, ist unglaubwürdig - wieso wird dann mit grobkörnigen Schwarzweiß-Bildern nach Bankräubern gefahndet? Und warum überhaupt Wanzen und Peilsender aufgewendet werden, wenn Dean nur sterben soll, ist auch unklar.Daß aber die Techniker die Jagd als Sport sehen - "Ist das jetzt ein Mont-Blanc oder ein Parker?" fragen sie, als eine versteckte Kamera ein Teil von Deans Füller zeigt -, in dem nicht die Menschenwürde, sondern der uramerikanische Gedanke des Besser-Schneller-Cleverer zählt, stimmt nachdenklich.Die Vorstellung, daß eine lückenlose Überwachung in der Realität möglich sein könnte oder schon ist und wir es nur nicht wissen, ist durchaus geeignet, dem Zuschauer manchen Schauer den Rücken runterzujagen.

NSA-Mitarbeiter haben die Dreharbeiten als Berater begleitet, und das Presseheft verspricht, daß alle gezeigten Technologien und Szenarien authentisch, ja sogar eher veraltet sind.Als US-Vizepräsident Al Gore kürzlich ein neues Regierungsprogramm zur Verbrechensbekämpfung vorstellte, sagte er an die Adresse der Gesetzesbrecher: "Paßt bloß auf, wir jagen euch jetzt mit Technologien, die ihr noch nie zuvor gesehen habt." Die "Freemen" dürfte das kaum überraschen.Alle anderen aber, die den Film gesehen haben, könnten ein bißchen nachdenklich werden, wenn wieder mal vom "Großen Lauschangriff" die Rede ist.

Auf 30 Berliner Leinwänden; Originalfassungen im Cinemaxx Potsdamer Platz und in der Kurbel

DIRK SCHÖNLEBE

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