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Kultur: Wir sind die dritte Generation

Welche Tragkraft haben Töne? Das neue „Young Philharmonic Orchestra Jerusalem Weimar“ kommt nach Berlin

Das wäre beinahe schiefgegangen: Die Ankündigung für das Debüt des neuen „Young Philharmonic Orchestra Jerusalem Weimar“ am 19. August um 20 Uhr war schon gedruckt – da fiel den Verantwortlichen plötzlich auf, dass es sich um einen Freitagabend handelt. Sabbat! Die Sonne wird an diesem Tag in Thüringen gegen halb neun untergehen. Undenkbar, dass gläubige jüdische Musiker dann auftreten.

Nach einigen hektischen Telefonaten ließ sich der Termin dann allerdings doch noch retten: Jetzt wird Johannes Brahms’ „Tragische Ouvertüre“ bereits um 18.30 Uhr erklingen, zur Eröffnung der Weimarer „Pèlerinages“. Der erste Abend des von Nike Wagner geleiteten Festivals ist traditionell dem „Gedächtnis Buchenwald“ gewidmet. Symbolischer lässt sich kein Jugendorchesterprojekt beginnen.

Tags darauf werden die Studierenden der Jerusalem Academy of Dance and Music und der Franz-Liszt-Hochschule Weimar in Eisenach auftreten, auf der Wartburg, noch so einem deutschen Symbolort. Am 22. August schließlich spielen sie am Berliner Gendarmenmarkt in der Französischen Friedrichstadtkirche, errichtet von jenen hugenottischen Glaubensflüchtlingen, denen der Große Kurfürst Schutz gewährt hatte. Für die zweite Arbeitsphase im Dezember sind Konzerte in Tel Aviv, Jerusalem sowie in einem Kibbuz geplant.

Die Idee, deutsche und jüdische Musiker in der Klassiker-Stadt zusammenzubringen, entstand 2008 während einer Israel-Reise des damaligen thüringischen Ministerpräsidenten Dieter Althaus, an der auch der Weimarer Rektor Rolf-Dieter Arens teilnahm. Dass die Jerusalem Academy of Dance and Music gleich positiv auf den Vorschlag reagierte, liegt sicher auch daran, dass sich die Weimarer Hochschule international einen guten Ruf erarbeitet hat. Viele israelische Nachwuchsinstrumentalisten der dritten Auswanderer-Generation zieht es mittlerweile zum Studium nach Deutschland. Für Tehila Machado, deren Mutter in Yad Vashem arbeitet, käme das zwar überhaupt nicht in Frage – aber das Experiment einer gemeinsamen Probenarbeit in Weimar wird sie wagen: „Es ist für beide Seiten schwierig, aber ich denke, es wird gut sein, sich auf die Gefühle und Gedanken der anderen einzulassen, musikalisch wie menschlich durch neue Freundschaften“, sagt die Geigerin. „Die Geschichte sollte man niemals vergessen“, findet auch der deutsche Klarinettist Wolf Attula, „aber sie sollte keine Last sein, die Freundschaft verhindert.“

Christoph Stölzl, seit 2010 Rektor der Liszt-Hochschule, hat das Projekt gerne von seinem Vorgänger übernommen. Gerade in Weimar, „wo Gut und Böse auf Fahrradentfernung nebeneinanderliegen“, sind solche Begegnungen wichtig, findet der frühere Berliner Kultursenator. Einen direkten Vergleich mit Daniel Barenboims „West-Eastern Divan Orchestra“, das 1999 ebenfalls in Weimar gegründet wurde, will Stölzl jedoch vermeiden. „Barenboim verfolgt eine hoch politische Mission im Nahen Osten“, betont er. „An solch einem Anspruch würde sich eine Hochschule verheben“.

In der Tat spielt das West-Eastern Divan Orchestra mittlerweile in der Champions League der internationalen Klassikszene. Gerade sind Barenboim und seine Schützlinge aus Israel wie den angrenzenden arabischen Ländern auf Asien-Tournee. Neben Stationen in Peking, Schanghai und Seoul ist dabei auch ein Freiluftkonzert mit Beethovens Neunter in der entmilitarisierten Grenzzone zwischen Nord- und Südkorea geplant. Zwischen Auftritten bei den europäischen Edelfestivals Luzern sowie Salzburg und einer Gesamteinspielung aller Beethoven-Sinfonien für das Plattenlabel Decca in Köln blieb am 22. August noch Zeit für ein Waldbühnen-Konzert in Berlin.

Dass dieses Event just am Tag vor dem Berlin-Gastspiel des „Young Philharmonic Orchestra Jerusalem Weimar“ stattfindet, ist purer Zufall. Und sollte, wie gesagt, nicht zu unangemessenen Vergleichen führen. Denn der Anspruch an das erste Zusammentreffen des neuen Ensembles ist in Weimar durchaus bescheiden. „Ein Aspekt unseres Vorhabens ist der Vergleich unterschiedlicher regionaler Musiziertraditionen“, erklärt Stölzl. Die vielen Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion haben in jüngster Zeit zu einer starken russischen Prägung der israelischen Musiklandschaft geführt. Der Dirigentin Karin Ben-Josef aus Jerusalem, die das Konzert in Berlin leiten wird, ist dennoch auch die alte deutsche Schule vertraut – konnten sich doch ihre Großeltern aus Deutschland nach Israel retten, als jeweils einzige Holocaust-Überlebende ihrer Familien.

Französische Friedrichstadtkirche,

22. August, 19 Uhr. Infos: Tel. 678 0111

oder www.berliner-konzerte.de

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