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Kultur: Wir sind die Roboter

In der Musik des Trommlers Moritz Wolpert verschmelzen Mensch und Maschine

Moritz Wolpert sitzt auf einem verschlissenen Sessel und bearbeitet mit seinen Schlegeln einen Aufbau, der entfernt an ein Schlagzeug erinnert. Inmitten der verschiedenen Trommeln, Pauken und Becken, der Zither, dem alten Koffer und dem Wust von Kabeln und Kontakten hockt ein Wackeldackel und nickt im Takt. Wolperts Haare stehen widerspenstig nach oben, der 39-Jährige demonstriert seine Trommelmaschine. Er zeigt auf das Herzstück der Konstruktion: zwei kleine Metallkästen voller Schalter, Drehregler und Leuchtdioden. Hier laufen die Drähte zusammen, von hier gehen die Impulse aus: die Zithersaiten werden angeschlagen, ein Becken dengelt, es klickt und klackt, Tempo und Rhythmus sind einstellbar. Wolpert trommelt dazu, was wiederum neue Impulse auslöst. So begleiten er und die Maschine sich gegenseitig.

Die Technik ist so vertrackt, dass Wolpert selbst sie nur schwer erklären kann. Aber er ist ohnehin vor allem für die Vision zuständig, der Konstrukteur heißt Christian Günther, ein befreundeter Bastler und Musiker, er und Wolpert inspirieren sich gegenseitig. Für die ist die Maschine ein ständiges „Forschungsfeld“, immer wieder setzt sie sich selbstständig in Gang, auch ohne Stromanschluss.Für sich selbst baut Günther analoge Synthesizer, die auf Konzerten „mit Millionen Kabeln“ mit Wolperts Maschinen verbunden werden. Auch der Laptop und die Zwölfsaitige ihres Mitmusikers Al Chem, der bürgerlich Alexander Christou heißt, lassen sich mit der Maschine synchronisieren.Zwar müssen die Kontrollkästchen „ständig zum Arzt“, neulich habe es auch einmal geraucht, auch dauere der Aufbau Stunden und sei Millimeterarbeit. Doch bei den Sessions legen sich über die monotonen, „stoischen Beats“ beeindruckende psychedelische Sounds, „das baut sich langsam auf“, schwärmt Wolpert. Günthers „Mandalamat“, ein umgebautes Oszilloskop, wandelt den Rhythmus in hypnotisch wabernde Kreisformen um, die an den Bühnenhintergrund projiziert werden.

Und irgendwann sei man eingespielt, befreit, man „atmet die Musik“, darum mache er das Ganze überhaupt. In den Maschinen sei zwar „eine Kühle“, eine „Einsamkeit“, „aber trotzdem strahlen sie Wärme aus, eine Atmosphäre“. Wolpert spricht gedehnt, mit norddeutschem Akzent, kurz vor der Maueröffnung kam er aus Bremen nach Berlin. Er wird lebhaft, als er – off the record – Storys aus seiner bewegten Jugend in den besetzten Häusern Bremens zum Besten gibt. Da habe er zu trommeln angefangen, autodidaktisch, und auch zu malen und zu basteln, und nebenbei eine Tischlerlehre abgeschlossen: „Wenn ich was anfange, dann mache ich das gerne zu Ende“.

Jetzt sitzt Wolpert in seinem mit Trommeln, Werkzeug, Holz und Kunst vollgestopften Arbeitsraum am Prenzlauer Berg, trägt eine braune Zimmermannshose und einen dicken Wollpullover und sagt, dass er Glück gehabt habe mit dem Job als Schlagzeuger im Musical „Cabaret“ in der Bar jeder Vernunft, sieben Shows die Woche, sonntags zwei, montags frei. Vorher schlug er sich mit den verschiedensten Musikprojekten durch, dann kam er über Meret Becker an den Ensembleposten, gestaltete zunächst dasMusicalplakat, spielte dann den Matrosen in der Aufführung und landete schließlich auch noch hinter den Trommeln. Das regelmäßige Geld gibt ihm Freiraum für seine Projekt. Etwa für die Konzertreihe „Replikantenstadel“, Maschinensessions mit wechselnden Mitmusikern, am Ende der Reihe soll ein „Best of“-Abend stehen.

Wolpert hat viel vor. Er will seinen Maschinensound mit klassischen Instrumenten kombinieren, außerdem träumt er von einer Choreographie,einem Theaterstück. Um Maschinenmenschen, um Replikanten soll es gehen. Zukunftsmusik.Wolperts momentan wichtigstes Projekt bleibt sein „Multifunktionsinstrument“. Als Erweiterung der Rhythmusmaschine werde es eine Art Slide-Gitarre mit automatischem Finger-Picking-Mechanismus geben und Kurbelpauken, die permanent umgestimmt werden können.

Und aktuell – „der Wahnsinn geht ja weiter“ – baut ein Feinmechaniker für Wolpert eine „programmierbare Spieluhr“. Über 1500 Stifte können in die etwa 15 Zentimeter lange Walze eingesetzt werden, so wird es möglich sein, wie beim Leierkasten komplexe Melodien zu erzeugen. Angetrieben werden soll die Maschine von einer kleinen Dampfmaschine oder einem alten Grammophonmotor.

So sehr Wolpert die Arbeit mit anderen Musikern liebt, sein Traum ist doch die Unabhängigkeit, die musikalische Selbständigkeit. Und der große Sound, den er allein einem perfekten, vernetzten Apparat entlockt. Die Trommelmaschine geht los, klack-klong, die Zither, das Becken. Wolpert lebt in seiner Kunst. Küche und Flur sind mit Linoldrucken tapeziert, Wohn- und Arbeitsräume hängen voller Bilder: breite Striche auf Holz und Papier, Frauenakte, Porträts, stilistisch zwischen afrikanischer Kunst und frühem Picasso. Wolpert kramt in seiner CD-Kiste und spielt einige Aufnahmen vor. Der Beat ist schwer und langsam, eine Frauenstimme legt rauchige Schleifen um den Takt. Die Maschine geht los. Der Wackeldackel nickt mit dem Kopf.

Moritz Wolpert spielt mit seinem „Replikantenstadel“ am Montag ab 22 Uhr in der Greenwich Bar, Gipsstraße 5 (Mitte).

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